ERNST HEIMES DER VERLORENE NATURSPIELPLATZ
: Vom Fluss zur Wasserstraße

Still war es im Moseltal zur Zeit meiner Kindheit. Die Moselberge umschlangen unser Dorf wie mächtige, schützende Arme. In der Mitte von allem strömte der Fluss! Seine Nähe suchten wir. Ganze Nachmittage verbrachten wir an seinen Ufern, die wir Remmel nannten. Die Remmel, das Gelände zwischen Wasser und bebautem Dorf, in welches sich im Frühjahr die Hochwasser ausdehnten, waren von Weiden bewachsen und im Sommer von allerhand Wildwuchs.

Fast alle Remmel sind heute verschwunden. In den 1960er Jahren wurde die Mosel zur Großschifffahrtsstraße ausgebaut. Ich erinnere mich, dass gewaltige Maschinen anrückten, die mit riesigen Hämmern Spundwände in die Remmel versenkten. Wir Kinder wussten nicht, dass wir die letzte Generation waren, denen die Remmel als Naturspielplatz gedient hatten.

Heute sind große Teile des Flusses zwischen senkrechten Mauern eingefasst. Die Mosel ist kanalisiert und ihr Lauf durch 28 Staustufen geregelt. Der einstige Fluss ist zur Wasserstraße verkommen. Seine Ränder sind begradigt. Das Wasser- und Schifffahrtsamt hat das Sagen und bringt vermeintlich Ordnung in die noch vorhandene Uferböschung. Jedes Frühjahr lässt es gegen Bäume in Flussnähe und Uferbewuchs rigoros zu Felde ziehen. Die Dorfstraßen, autogerecht umgestaltet, sind zu Durchfahrtsstraßen degradiert und oft menschenleer.

Entlang der Wasserstraße Mosel verlaufen beidseitig breite Autostraßen, und besonders an sonnigen Sommertagen, wenn viele Menschen an der Mosel Erholung suchen, liegt ein Lärmen über dem Tal. Doch in manchen Sommernächten, wenn die Motorboote, die Wasserski- und Jetfahrer die Mosel geräumt haben, wenn keine Autos und Motorräder mehr unterwegs sind, wenn kein Flugzeug den Flughafen Hahn anfliegt und die Kühlaggregate der örtlichen Hotels eine Pause einlegen, ist ein Durchatmen zu spüren, und nah beim Haus trommelt eine Singzikade in die Stille.