Zitat und Aneignung

Die Ausstellung „Das Schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch“ in Hamburg widmet sich der Wirkung des suprematistischen Malers auf die Kunst der Moderne im Westen – und dem Quadrat an sich

von PETRA SCHELLEN

Nun hängt es endlich in Hamburg, das „Schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch. Lange musste Hubertus Gaßner, Direktor der örtlichen Kunsthalle, dafür arbeiten, schwierig waren die Vorbereitungen. Einigen Wirbel brachte auch mit sich, dass draußen, zwischen altem und neuem Gebäudetrakt nun erstmals Gregor Schneiders schwarzer Kubus aufgestellt wird. Den hatte man sich andernorts, etwa in Venedig, ja nicht zu zeigen getraut: Befürchtet wurde, der Würfel könnte durch seine Ähnlichkeit mit der Kaaba, dem muslimischen Heiligtum in Mekka, als Respektlosigkeit wahrgenommen werden. Dem begegneten die Hamburger Ausstellungsmacher nun bereits vorab unter anderem dadurch, dass sie gemäßigte muslimische Organisationen zum Dialog baten. Und die bescheinigten Schneiders „Cube“ im Prinzip Unbedenklichkeit.

Worin liegt aber nach alldem der Erkenntnisgewinn der nun eröffnenden Ausstellung „Das Schwarze Quadrat“, die sich ja schon im Titel ausdrücklich als „Hommage an Malewitsch“ versteht und an sein Gemälde, das 1915 eine Revolution darstellte? Warum sich nochmals der Wirkung widmen, die das „Quadrat“ vor allem auf die westliche Kunst nach 1945 ausgeübt hat? Vielleicht, weil das Bild ein ewiges Mysterium ist. Weil es nicht genügt, das Quadrat als Idee eines Überdrehten zu begreifen, der darin Energien zusammenfließen spürte. Dar darin den sich bis zur Gegenstandslosigkeit verdichtenden Raum sah. Der Quadrate und ihre Abwandlungen wie Teile rotierender Mobiles in den Bildraum setzte, sie vor- und hintereinander sortierte, als saugte die Gravitation sie in geheimnisvolle Ecken.

Etliche Bilder dieser Art – von Malewitsch selbst wie auch von seinen russischen Anhängern – sind nun in Hamburg zu sehen. Doch was haben sie damit angefangen, die Künstler des Westens, die nun danebengestellt wurden: Malewitsch nachgeahmt? Ihn zur Perfektion getrieben? In die dritte Dimension gesetzt, ironisiert? Von allem ein wenig – doch zunächst hatten sie schlicht Probleme, sich abzugrenzen. Das war schon deshalb nicht leicht, weil Quadrate halt immer mal vorkommen.

Zum Beispiel Yves Klein: Auch der schuf weiße Quadrate und blaue Rechtecke. Und erwähnte – und da war er nicht der einzige – Malewitsch manchmal bewusst nicht, um nicht in dessen Schatten zu stehen. Genützt hat es ihm nichts, höchstens den Vorwurf der Arroganz eingebracht. Bewusste Kritik an dem, von dem er doch nicht loskam, war dann allerdings sein Sprung aus dem Fenster: Damit wollte Klein den Aufruf Malewitschs, sich mit ihm in die Leere zu werfen, als versponnen entlarven. Ein eher hilfloses Aufbegehren. Wenn die Ausstellung noch Lucio Fontanas aufgeschlitzte Leinwände in diesem Kontext zeigt, lässt sich zwar argumentieren, dass der Leinwand hier eben jene Energie entzogen werde, die Malewitsch seinem Schwarzen Quadrat zuschrieb. Aber ein bisschen gewollt wirkt das dann schon.

Sehen andererseits Jean Tinguelys „Meta-Malewitsch“-Reliefs mit ihren beweglichen geometrischen Formen vor schwarzem Grund ein bisschen aus wie moderne Design-Uhren, machen sie doch klar, wie die Quadrate in Malewitschs Vorstellung durch den Raum geflogen sein müssen. Natürlich sind die Grenzen zwischen ernsthaftem Zitat und bloßer Aneignung hier fließend.

Aber warum soll man sich dem Quadrat nicht auch auf vergnüglich-sinnliche Weise widmen: so wie Franz Erhard Walther, der es als baumwollenen „Sockel“ auf den Boden legt. Darauf kann man kann sich niederlassen und sich ein bisschen vorkommen wie bei Manets „Frühstück im Freien“. Und wer mag, kann daran glauben, dass dieses Kraftfeld dem des Malewitsch’schen Quadrats gleicht.

Überraschend vielleicht nur in ihrem Kontrast zum Titel der Ausstellung, ist die Auswahl auch ein Abarbeiten am Quadrat an sich – dafür musste gar nicht erst Malewitsch kommen. So ein Konzept befreit auch von dem Zwang, bei jedem Künstler, jeder gezeigten Arbeit auf ausdrückliche Bezugnahmen zu lauern. Erlaubt dem Besucher, sich einfach so zu ergötzen am Spiel der Moderne mit dem Phänomen des gleichseitigen rechtwinkligen Vierecks. Noriyuki Haraguchi zum Beispiel hat in der Hamburger Kunsthalle eine seiner Altöl-Wannen aufgestellt. Wer um diese Beschaffenheit nicht weiß, könnte die Arbeit für einen großen schwarzen Spiegel halten, der halt etwas merkwürdig riecht. Welche ästhetischen Funken sich da aber aus der Spannung zwischen dem profanen Material und seiner Präsentation schlagen lassen!

Andererseits ist da der Videokünstler Bruce Naumann, der sich weit manischer am Quadrat abgearbeitet hat als die Ausstellung selbst: Immer wieder lief er ein auf dem Boden markiertes Quadrat ab, ein bisschen neben der Spur manchmal – wie im richtigen Leben. Ist er dadurch der perfekten Form nähergekommen? Vielleicht nimmt Nauman das Thema auch schlicht nicht so ganz ernst – und wäre damit im Verbund mit Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel, die das Quadrat gestrickt und „Ich denke, also bin ich“ hineingeschrieben hat. Und schließlich: Sigmar Polke mit seinem berühmten Spruch „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“. Warum soll er eigentlich nicht auf eine Eingebung gehört haben, ein Maler wie Malewitsch, der so radikal war, sich in einem suprematistischen Sarg ausstellen zu lassen. Über seinem Haupt hing: sein Schwarzes Quadrat. Malewitsch meinte das nicht ironisch. Das tat indes das Künstlerkollektiv „Irwin“: Die Slowenen haben die Malewitsch-Aufbahrung noch radikaler inszeniert als er selbst. Und da lacht man, nach dem ersten Schock, tatsächlich drüber.

„Das Schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch“: bis 10. Juni 2007 in der Hamburger Kunsthalle