betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Da ist sie also, die neue Spielzeit, und die Spielpläne füllen sich gleich wieder randvoll mit neuen Produktionen. Das Ballhaus Ost geht in dieser Woche mit einer ziemlich mörderisch aussehenden Geschichte an den Start. „feuer frisst gedanken“ ist sie überschrieben. Der von Helmut Brosch inszenierte Abend führt an einen schwer definierbaren Ort: Ist es ein Labor? Eine Bar? Eine Partnervermittlung? An Holzgerippen hängen Wachsklumpen, die wie Kadaver aussehen. Handelt es sich um Kunst oder Leichenteile? Ein Mann und eine Frau bereiten etwas vor. Einen Film? Eine Vernissage? Einen Mord? Regisseur Brosch ist eigentlich bildender Künstler und unternimmt hier einen seiner gelegentlichen Ausflüge in die darstellende Kunst und Zwischenwelten des Wirklichen. (Ballhaus Ost: „feuer frisst gedanken“, Premiere 5. 9., 20 Uhr)

Als Grenzgang wird in der Schaubühne auch das neue Projekt des Dramatikers und Regisseurs Falk Richter angekündigt, der in „Never Forever“ zum ersten Mal mit dem israelischen Choreografen Nir de Volff und dessen Compagnie Total Brutal zusammenarbeitet. Falk Richters Texte erzählen immer wieder von Menschen in der Großstadt, deren Individualität abhandenzukommen droht: bis zur Unkenntlichkeit neu selbstinszeniert in Onlineprofilen, durchleuchtet und überwacht. Von Menschen, die nicht mehr sicher sind: Ist das noch mein Leben oder ein Drehbuch? (Schaubühne: „Never forever“, Premiere 7. 9., 18 Uhr)

Die Frage „Ist das noch mein Leben?“ hätte bereits eine der berühmtesten Theaterfiguren der deutschen Dramatik, nämlich Georg Büchners Woyzeck stellen können. Der kommt sich in den Entfremdungs- und Ausbeutungszusammenhängen, in denen er lebt, so sehr abhanden, dass er am Ende die Frau tötet, die er liebt. Am Berliner Ensemble inszeniert der Regisseur Leander Haußmann den Stoff. (Berliner Ensemble: „Woyzeck“, Premiere 6. 9., 19.30 Uhr.)

Für viele fühlt sich das Leben aber so gewöhnlich, grau und unspektakulär an, dass sie es gern wie eine alte Haut abstreifen und in ein anderes umziehen würden. Das war zum Beispiel in Anton Tschechows berühmtem Stück „Drei Schwestern“ so. Bloß dass den Schwestern der Ausbruch nicht gelang. „House for sale“ heißt es nun im neuen Stück von René Pollesch, das fast wie eine „Drei Schwestern“-Übermalung klingt. Im mäandernden Diskurs des Stücks geht es auch um Religion und um den Verräter Judas, der vielleicht der wahre Begründer des Christentums ist. An der Volksbühne inszeniert Pollesch die Urauführung seines Stücks wie immer selbst. (Volksbühne: „House for sale“, Premiere 10. 9., 19.30 Uhr)