Böser Brief aus Brüssel

Der Streit um das staatliche Glücksspielmonopol eskaliert: Während die EU droht, reagiert die Landespolitik hilflos

DÜSSELDORF taz ■ Pünktlich zu den großen 50-Jahre-EU-Feierlichkeiten traf das Mahnschreiben aus Brüssel ein. EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) setzte den Bundesländern Ende vergangener Woche ein Ultimatum: Bis zum 23. April sollen die Ministerpräsidenten den „Glücksspiel-Staatsvertrag“ verändern. Gegen das Vertragswerk, mit dem die Länder Sportwetten und bestimmte Glücksspiele verbieten wollen, will Verheugen ansonsten klagen. Auslöser des bösen Briefs aus Brüssel ist auch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers – der Christdemokrat zählt zu den Hardlinern für ein staatliches Wettmonopol.

Rüttgers und seine Länderkollegen argumentieren offiziell stets mit dem Argument der Spielsuchtbekämpfung. Weil das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr das Monopol an eine strengere Bekämpfung der Suchtgefahren beim Zocken und Spielen gebunden habe, müssten vor allem Online-Angebote stärker bekämpft werden. In Verheugens Schreiben heißt es laut Presseberichten, das Online-Verbot von Lotto und Wetten sei keine geeignete Maßnahme zum Erreichen der Ziele der Spielsuchtbekämpfung und des Jugendschutzes. Der Entwurf der Ministerpräsidenten erhalte keinen Beleg dafür, dass „eine tatsächliche Gefahr der Spielsucht im Internet in Deutschland vorliegt“. Dazu komme, dass sich das Staatsmonopol nur auf Lotto und Sportwetten beschränke, „nicht aber auf Glücksspiele, die eine viel höhere Gefahr der Spielsucht aufweisen“. Das seien laut EU zum Beispiel Glücksspielautomaten und Pferdewetten, die widersprüchlicherweise weiterhin legal bleiben sollen.

Verheugens Linie wurde Mitte März auch bei einer Anhörung im Düsseldorfer Landtag bestätigt. „An erster Stelle bei den süchtig machenden Glücksspielen rangieren die Automaten“, sagte Verena Verhoeven von der Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas. Neben den „einarmigen Banditen“ sei die staatliche Fußballwette Oddset – die Rüttgers und Co. mit ihrem Monopol vor privater Konkurrenz schützen wollen – eine Einstiegsdroge, berichtete die Sozialarbeiterin.

Professor Gerhard Bühringer von der TU Dresden wies auf eine schon traditionelle staatliche Doppelmoral beim Thema Wetten und Zocken hin: „Früher hat der Staat mit Glücksspielabgaben Krieg und Armeen finanziert, heute eben Kunst und Kultur“. Auch private Glücksspielanbieter beklagten sich über das irrationale Verhalten des Staates: Auf der einen Seite gerierten sich die Länder als moralische Wächter zur Begrenzung des Spieltriebs, andererseits zocke der Staat mit eigenen Wetten und Spielcasinos die Süchtigen ab.

Die Abgeordneten von CDU, SPD, FDP und Grünen reagierten hilflos. Sie stecken in einer Catch-22-Situation: Ratifizieren sie den umstrittenen Staatsvertrag, droht ein jahrelanger Rechtsstreit mit der EU und privaten Anbietern. Lehnen sie das staatliche Monopol ab, wird das Staatslotto und die amtliche Fußballwette im Wettbewerb untergehen – und mit ihm die Milliarden-Einnahmen für kulturelle und soziale Einrichtungen. Längst sind die von den Oddsetgeldern abhängigen NRW-Stiftungen für Sport sowie für Umwelt und Entwicklung finanziell in die Bedrouille geraten.

Die Unsicherheit führt bei den Anhängern der bisherigen Lottoverteilsystems zu Panik. In seiner Stellungnahme im Landtag sagte Josef Tumbrinck vom Naturschutzbund NRW: Der Staat müsse „mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln das Abfließen der Wetten in illegale Kanäle verhindern“ – notfalls auch, indem privaten Anbietern der Internetzugang gesperrt werde. Mit den Zensur-Methoden der Volksrepublik China soll das deutsche Monopol also verteidigt werden – EU-Kommissar Verheugen wird sich mit derlei Lösungsvorschlägen wohl kaum zufrieden geben.

MARTIN TEIGELER