Europas Banker ziehen die Notbremse

KRISE Europäische Zentralbank senkt den Leitzins auf Mini-Niveau und kauft Wertpapiere auf

Es ist praktisch eine Form der Bankenrettung mit der Notenpresse

VON KAI SCHÖNEBERG

BERLIN/FRANKFURT taz | Schwaches Wachstum, geringe Inflation, ein von Kriegen und Konflikten bedrohter Kontinent – Europas Wirtschaft läuft äußerst zäh. Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht deshalb fast verzweifelt, das Wachstum im Euroraum anzukurbeln und eine Deflation zu vermeiden. „Es gibt eine Abwärtstendenz bei fast allen Indikatoren“, sagte Notenbankchef Mario Draghi am Donnerstag. Die Währungshüter planen deshalb eine weitere Senkung des Leitzinses auf fast null, neue Anreize für Banken zum Geldverleihen und der Start eines Kaufprogramms für bestimmte Wertpapiere. Die Finanzmärkte reagierten sofort: Der Euro fiel von 1,31 auf 1,29 Dollar.

Die angekündigte Senkung des Leitzinses von 0,15 auf nur noch 0,05 Prozent überraschte selbst Experten, obwohl vorab viel über die niedrigen Wachstumsraten, hohe Arbeitslosigkeit und sehr geringe Inflation im Euroraum debattiert worden war. Die EZB hatte zuletzt ihre Wachstumsprognose für 2014 von 1,0 auf 0,9 Prozent gesenkt. Die Senkung des Leitzinses bedeutet, dass sich Banken nun von der Zentralbank so billig wie nie zuvor in der Euro-Geschichte Geld beschaffen können. Ziel ist es, Unternehmen und Bürgern günstige Kredite zugänglich zu machen, damit diese investieren und so die Wirtschaft ankurbeln.

Dazu soll auch die zweite Entscheidung der Bank dienen: Der Strafzins für Banken steigt. Die Institute bekommen nicht nur keine Zinsen, wenn sie Geld bei der Zentralbank parken. Seit Juni müssen sie sogar erstmals dafür zahlen. Dieser sogenannte Einlagezins wurde nun von minus 0,1 auf minus 0,2 Prozent verschärft. Das soll Anreize liefern, das Geld nicht bei der Notenbank zu bunkern, sondern als Kredite auszureichen.

Laut Draghi will die EZB ab Oktober auch Kreditverbriefungen (ABS) und Pfandbriefe aufkaufen – angeblich hat das Programm einen Umfang von 500 Milliarden Euro. Bei den zu Bündeln vereinten Forderungen namens Asset Backed Securities (ABS) handelt es sich neben Hypotheken, Kreditkarten- und Autokrediten vor allem um Unternehmenskredite. Banken nutzen die ABS als Geldquelle. Sie verkaufen die gebündelten Papiere an Investoren, um an liquide Mittel zu kommen. Die EZB versucht mit dem Programm, den Kreditfluss wieder in Gang zu bringen. Es ist praktisch eine Form der Bankenrettung mit der Notenpresse. Doch Kreditverbriefungen gelten als riskant. In der Finanzkrise 2007/08 waren sie vor allem in den USA als „Brandbeschleuniger“ in Verruf geraten. Flankierend will die EZB auch Pfandbriefe aufkaufen. Diese Wertpapiere gelten als besonders sicher.

Da Draghi nicht weiß, ob sein Rettungspaket der Eurozone hilft, hielt er sich am Donnerstag die Tür für weitere „unkonventionellen Maßnahmen“ in Form von Anleiheaufkäufen offen. Ein solches Vorgehen – im Fachjargon Quantitative Easing – dient als letztes Mittel, um eine Deflation zu verhindern. Viele Experten sind jedoch dagegen, die Notenpresse anzuwerfen, also öffentliche Schuldtitel wie etwa Staatsanleihen oder auch private Papiere aufzukaufen. Mit entsprechenden Käufen hatten bereits die Notenbanken der USA, Japans und Großbritanniens ihre Wirtschaft angekurbelt.

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell forderte jenseits der EZB-Politik auch Maßnahmen der Regierungen: „Was Europa braucht, ist ein groß angelegtes Investitionsprogramm und steigende Löhne. Nur dann steigt auch die Nachfrage, Arbeitsplätze entstehen und die Gefahr einer Deflation wird gebannt.“

Draghi selbst räumt ein, dass er recht machtlos ist: „Es wäre besser, wenn wir zuerst Strukturreformen und dann mehr Flexibilität bekommen hätten“, sagte er. „Aber das ist nicht mein Verantwortungsbereich.“

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