Bedeckte Revolutionäre

Dantons Tod in der iranischen Fassung: Heute inszeniert Roberto Ciulli in Mülheim die zensierte Version des Revolutionsdramas von Büchner. „Das Publikum schaut hinter die Kulissen“

von ANNIKA JOERES

Die Haare sind vom Tuch bedeckt, die Knöchel ebenso. Mann und Frau neigen ihren Kopf bis auf einen Millimeter zueinander, zum Kuss darf es nicht kommen. Aus dem Bordell wurde ein Speiserestaurant. Iranische Zensoren haben „Dantons Tod“ in ein regimefreundliches Stück verwandelt. Heute ist die ungewöhnliche Inszenierung im Theater an der Ruhr in Mülheim zu sehen.

Haben die Zensoren also gewonnen und ihren Einfluss bis nach Deutschland geltend gemacht? Nein, sagt Roberto Ciulli, Chef des Theaters, im Gegenteil. „Wir wollen gegen die weltweite Zensur protestieren.“ Gerade heute am Welttheatertag. Das Publikum könne so hinter die Kulissen sehen. Das Drama der französischen Revolution um den terreur der einzelnen politischen Gruppierungen sei inhaltlich nur wenig verändert worden. „Die Abweichungen sind vor allem formal, zum Beispiel bei der Kopfbedeckung.“ Inhaltlich habe er „keinen Millimeter“ Kompromisse eingehen müssen.

Seit Jahren ist Ciulli zu Gast beim Theaterfestival Fadjir in Teheran, seine Stücke sind schon Monate vorher ausgebucht. Sein Konzept ist es, in den Gegenden zu spielen, die in den Tagesthemen nur noch als kriegerische Problemländer behandelt werden. „Wir können die Menschen unter den autoritären Regimen nicht alleine lassen“, sagt Ciulli. So reiste er schon 2002 als erstes und nunmehr einziges westliche Ensemble in den Irak Saddam Husseins. Die Bühnen, auf der Ciulli spielte, soll heute von Bomben zerstört worden sein.

Im Iran ausgerechnet das Drama der französischen Revolution zu spielen, war besonders gewagt. Wird doch in dem Stück ausdrücklich jede Form von gewalttätiger Herrschaft angeklagt. „Ihr wollt Brot und sie werfen Euch Köpfe hin“, heißt es bei Büchner. Dieser Satz fiel auch in Teheran. Das Ensemble musste zwar vor den Zensoren aufspielen, sie rieten zu einigen formalen Veränderungen gemäß der iranischen Verfassung. Ciulli hat Verständnis für die Beauftragten des Regimes. Es seien alles Theaterleute, die selbst unter ihrer Aufgabe litten. „Sie wollen dem Regime keine Gründe liefern, das Stück zu verbieten.“

Für ausländische Regisseure sei es ohnehin leichter zu inszenieren – ein iranischer Regisseur hätte Dantons Tod kaum spielen können. „Ich mache mir große Sorgen um die Einschüchterungen“, sagt Ciulli. Früher seien zu seinen Pressekonferenzen mindestens 30 interessierte Journalisten gekommen, heute wären höchstens ein paar offizielle Fragensteller anwesend. Ob auch heute einige von ihnen im Publikum sitzen werden, weiß Ciulli nicht. Er ist aber überzeugt: „Die Zensur wird sich nicht halten lassen.“ Das Theater werde sie ad absurdum führen.

19.30 Uhr, Theater an der Ruhr mit Übertitelung in Farsi