Kosovo ist ihre Zukunft

Nicht alle Serben im Kosovo lehnen den Ahtisaari-Plan ab. Sie hoffen auf Vorteile. Doch in Belgrad finden sie kein Gehör

Svetozar Jović sagt von sich selbst, er könne mit den Albanern zusammenleben, er spreche auch Albanisch

AUS PRISHTINA ERICH RATHFELDER

Die aus der Kosovo-Hauptstadt Prishtina führende Ausfallstraße in Richtung Süden zeigt vielleicht am deutlichsten die jüngsten Veränderungen im Kosovo. Das noch vor wenigen Jahren weit vor der Stadt liegende serbische Dorf Caglavica mit seinen traditionellen Einfamilienhäuschen und Bauernkaten ist heute von mehrstöckigen Bürogebäuden, riesigen Einkaufszentren und Tankstellen eingerahmt, die von kosovo-albanischen Investoren hochgezogen wurden. Und es wird weitergebaut. Auch an der Straße in die serbische Enklave Gracanica, die ein paar Kilometer weiter in Richtung Osten liegt. Überall bauen Albaner neue Häuser mit Werkstätten und Geschäften. Das vielleicht noch 2.500 serbische Einwohner beherbergende Gracanica ist an den Rändern angefressen, immer mehr Serben verkaufen ihr Land. Es scheint, als erdrücke die albanische Mehrheit die Minderheit der Serben.

Nur im Garten des Klosters und um die aus dem Mittelalter stammende Kirche mit den berühmten byzantinischen Fresken spürt man noch ungebrochen die orthodox-serbische Atmosphäre. Der Ort ringsherum jedoch zeigt kaum noch Leben. Die Marktstände sind verwaist. Nur wenige Häuser wurden renoviert. Kaum jemand investiert in eine unsichere Zukunft.

Kurz vor den letzten Verhandlungen über den Ahtisaari-Plan, der „Unabhängigkeit unter internationaler Überwachung“ für Kosovo vorschlägt mit Minderheitsrechten für die Serben dort, wollten Politiker in einem Lokal gegenüber dem Kloster über den Plan beraten. Darunter Moderate wie Oliver Ivanović aus Mitrovica, die zwar den Plan wie die serbische Regierung ablehnen, aber überlegen wollten, wie man trotzdem mit den Albanern im Gespräch bleibt.

Doch aus dem Treffen wurde nichts. Eine Gruppe „aufgebrachter Bürger“ sprengte die Veranstaltung. Es waren Anhänger der Ultranationalisten, der Radikalen Partei und der mit ihnen verbündeten Sozialisten. Sie befürchteten, dass eine Mehrheit der Versammelten sich den Moderaten anschließen würde. Einer der Radikalen ist der Lastkraftwagenfahrer Jovan. Er will keine Verhandlungen mit Albanern und sehnt sich zurück in die Zeit von Slobodan Milošević. Die „Demokratie“ hätte nur der Position der Serben geschadet, sagt er. Fällt wieder einmal der Strom aus, sind die Albaner schuld, diese Schiptari, Kosovo sei Serbien, nicht Albanien, ruft Jovan.

Bei Novo Brdo, früher eine ergiebige Silber-, Gold- und Bleibergmine, zeigt sich bittere Armut. Die einstmals vom sozialistischen Jugoslawien gebaute Arbeitersiedlung mit ihren vierstöckigen Häusern und dem ehemaligen Gemeindezentrum steht halb leer. Holzstapel verraten: Hier funktioniert keine Zentralheizung mehr. Die Dörfer unterhalb des Bergwerks sind von Serben bewohnt.

20 Kilometer bis zur Stadt Gjiljan zieht sich der Gürtel aus serbischen und mit Albanern gemischten Dörfern, die aber nicht den Status einer Enklave haben. Während des Krieges 1998/99 ist es hier nie zu größeren Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen gekommen. Das ist bis heute so. Serben fahren hier mit den alten serbischen Autonummern, also von Albanern leicht als Serben erkennbar, in die Stadt.

In einem kleinen Laden in Novo Mesto haben sich einige Männer versammelt, alle zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Man trinkt Bier aus Zweiliter-Plastikflaschen. Hier, das sei die Heimat, „da haben unsere Familien schon immer gelebt.“ Die Leute hoffen, dass bald Investoren das Bergwerk wieder zum Laufen bringen. Auch hier sind nach dem Krieg viele weggegangen, von ehemals 300 Einwohnern sind nur 120 geblieben. Doch Negovan Stailjković will mit seiner Familie bleiben. Und Svetozar Jović sagt von sich selbst, er könne mit den Albanern zusammenleben, er spreche auch Albanisch. Einzig ein jüngerer Mann blickt düster in die Zukunft unter albanischer Herrschaft. „Kosovo ist serbisch und muss es bleiben.“

Die Serben Kosovos sind nicht mehr eine Einheit, wie es noch vor wenigen Jahren schien, es zeigen sich Spaltungen. Denn zunehmend mehr Menschen in den verstreuten Enklaven und serbischen Dörfern spüren, dass der Ahtisaari-Plan den Serben doch einige Möglichkeiten für die Zukunft bietet. Vor allem die Gemeindereform verbürgte für sie mehr Rechte, als sie in den letzten sieben Jahren unter der Herrschaft der UN-Mission hatten. Sie wären sogar privilegiert gegenüber anderen Minderheiten, den Türken, Goranj, Roma, Aschkali und Bosniaken. Die Gemeinde Gracanica würde wieder wachsen und die umliegenden albanischen Dörfer einschließen. Auch die Gemeinden Velika Hoča bei Orahovac, das Serbengebiet nahe der mazedonischen Grenze bei Štipce, die insgesamt 13 Enklaven sowie die Serbengebiete, die bisher nicht einmal Enklave sind, würden von dem Plan profitieren. Doch die allermeisten serbischen Bewohner im Gebiet um die zwischen Serben und Albanern aufgeteilte Stadt Mitrovica wollen von Kompromissen nichts wissen.

Die Brücke über den Fluss Ibar in Mitrovica markiert die Grenze zum größten Serbengebiet im Kosovo. Zwischen Stacheldrahtbarrieren stehen UN-Polizisten sowie Kfor-Soldaten und halten jedes Auto an, auch Fußgänger werden streng kontrolliert. In den letzten Jahren kam es hier immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Albanern und Serben.

Nordmitrovica hat noch um die 10.000 Einwohner, im gesamten Gebiet bis hin zur serbischen Grenze sollen es noch 30.000 bis 40.000 Serben sein. Anders als die Enklaven weiter südlich ist es direkt mit Serbien verbunden. Hier wird ausschließlich mit Dinar und nicht mit dem bei den Albanern üblichen Euro bezahlt, es gibt eine Universität, alle Behörden funktionieren wie eh und je. Die Staatsangestellten beziehen dreifache Gehälter, ein doppeltes aus Serbien und eines von der Regierung aus Prishtina. Die insgesamt 600 bis 700 Euro monatlich halten noch einige Serben im Kosovo. „Manche leben besser als in Serbien“, sagt die Besitzerin eines Zeitungsladens. Sie selbst muss sich mit ihrem kleinen Gewinn zufrieden geben. Sie verkauft Zeitungen aus Belgrad, Klatschblätter, den Blic und die Politika. Sie weiß, wie die Leute denken. „Kosovo gehört zu Serbien, wir akzeptieren keine Unabhängigkeit des Kosovo.“

In der Kommission der Belgrader Regierung, die über den Ahtisaari-Plan verhandelt, waren nur zwei Kosovoserben vertreten. Beide stammten aus Mitrovica. Was die Menschen in den Enklaven denken, hat in Belgrad kein Gehör gefunden.