Es soll nicht nur rollen

SCHLÜSSELFRAGEN Götz Werner, alternatives Enfant terrible der Drogeriebranche, stellt gerne existenzielle Fragen. 52 davon versammelt sein neues Buch, „Wann fällt der Groschen?“

Wofür ist das Geld da? Götz’ Antwort lautet: Um das Miteinander zu organisieren

VON ANSGAR WARNER

Wenn der Kapitalismus eine Religion ist, dann sind die Worte und Taten der Unternehmer die Heiligenlegenden unserer Zeit. Ein Exemplum für die richtige Lebensführung erwartet niemand, dafür Best-Practice-Tipps auf dem Weg zum schnellen Geld. Anders im Fall von Götz W. Werner. Der 1944 geborenen dm-Gründer ist Milliardär, das schon, und hat sich in vier Jahrzehnten vom kleinen Drogisten zum erfolgreichen Konzernchef hochgearbeitet.

Doch in der Textsammlung „Wann fällt der Groschen?“ tritt er uns in einer unerwarteten Rolle entgegen. Als jemand, der Leben als Arbeit am eigenen Ich versteht, Entrepreneurship als dem Gemeinwesen verpflichtete soziale Kunst und sich und uns qua Kundenmagazin Alverde regelmäßig Schlüsselfragen zur eigenen Existenz stellt. Warum schmelzen gute Vorsätze schneller als Schneeflocken? Wie wichtig ist uns Menschenwürde? Ist der Einsatz von Robotern in der Pflege sinnvoll? Aber auch: Brauchen wir eine neue Wirtschaftsordnung? Müssen wir Eigentum neu definieren?

Sich selbst bezeichnet das Enfant terrible einer kühl kalkulierenden Branche als „Realträumer“. Das sei jemand, der Dinge tut, von denen er spontan überzeugt ist, ohne eingehende Analyse, so Werner. „Evidenzerlebnisse“ nennt der siebenfache Vater solche Erfahrungen. Zu diesen Erlebnissen gehörte, gegen jeden Rat von Freunden und Familie, der Einstieg ins Drogeriegeschäft. Das war vor vierzig Jahren. Inzwischen ist dm hierzulande mit 1.500 Filialen und 30.000 Mitarbeitern die größte Drogeriemarktkette.

Der oberste Platz auf dem Siegerpodest hat damit zu tun, dass die vorherige Nummer eins an übertriebenem Expansionsdrang scheiterte. Was hat Einkaufen mit Moral zu tun? In Alverde schreibt Werner: „Bürger ist man jeden Tag. Verantwortlich und mündig ist man bei den tagtäglichen Entscheidungen. Beim Kauf von Produkten, bei der Wahl von Einkaufsstätten und bei der Beauftragung von Dienstleistern.“

Sein Unternehmen habe schon kurz nach der Gründung die Haltung definiert, „dass wir eine bewusst kaufende Stammkundschaft gewinnen wollen“. Die Bürger, so Werner, wollten wissen, „wen sie durch ihren Kauf unterstützen“. Es gehe vielen Menschen nicht um den günstigsten Preis, sondern um das Gefühl, das Richtige zu tun und natürlich: am richtigen Ort zu sein, Stichwort „Evidenzerlebnis“.

Natürlich geht es dem Händler ums Geld – jedoch nur als Mittel zum Zweck: Geld sei dafür da, das Miteinander zu organisieren, so Werner, auch in der Belegschaft. „Das Miteinander aller Beteiligten war uns stets so wichtig wie das erfolgreiche Zahnpastaverkaufen.“ Wenn Werner schreibt, er wolle dazu beitragen, dass sich viele Menschen als „Lebensunternehmer“ begreifen, ist das weit entfernt von Selbstständigkeitsparolen, sondern geht in Richtung der Joseph-Beuys’-schen Idee der sozialen Plastik, einer Gesellschaft, „an der alle durch kreatives Handeln mitformen“. Was für Werner persönliche Konsequenzen hat: „Meinen Beitrag versuche ich zu leisten, indem ich mich für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger einsetze.“

Wie kommt man zu solchen Ideen? Zu Werners Vorbildern gehört der Schweizer Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler – an dessen genossenschaftlich angelegtem Großkonzern ist mittlerweile jeder dritte Eidgenosse direkt beteiligt. Duttweiler sprach schon frühzeitig KundInnen als selbstständige KonsumentInnen an und dachte in der Kategorie des „sozialen Kapitals“.

Ein anderes Vorbild ist Rudolf Steiner. Der Anthroposophie-Begründer dient nicht nur allgemein als Inspirationsquelle in Sachen Ganzheitlichkeit, sondern kluge Sentenzen Steiners werden herangezogen, etwa die Aussage, das Geld „zu lügen beginnt“, wenn es sich von der Realwirtschaft abkoppelt. Der Formulierung Steiners von der „Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben“ fühlt sich Werner ebenfalls verpflichtet.

Die geistige Brücke zwischen Steiners Gedankenwelt und ganzheitlichem Zahnpastaverkauf ist so breit, dass Werner schon in seiner Autobiografie gleich in einer Kapitelüberschrift die Frage vorwegnimmt: „Sagen Sie mal, haben Sie was mit Anthroposophie zu tun?“ Wer fragt, ist auf dem besten Weg zur Erkenntnis. Genau darum geht es Götz W. Werner auch in den lesenswerten Kolumnen: Es soll nicht nur der Rubel rollen, sondern der Groschen fallen.

■ Götz W. Werner: „Wann fällt der Groschen? 52 Schlüsselfragen zum eigenen Leben“. Hrsg. von Herbert Arthen. Verlag Freies Geistesleben, 16,90 Euro