Die unbequeme Schwelle

Vor dem Kölner Hauptbahnhof erinnert ein Mahnmal an die Beteiligung der Reichsbahn am Holocaust. Wenn‘s nach der Bahn geht, soll es am besten in einer stinkigen Ecke verkommen

Das Mahnmal „soll am Ort des Geschehens stehen“, sagt die Shoa-Überlebende Tamar Dreifuss.

VON SUSANNE GANNOTT

Das Mahnmal neben dem Haupteingang zum Kölner Hauptbahnhof ist schlicht und unauffällig: eine alte Bahnschwelle, in die vier Messingplatten eingelassen sind. Auf einer steht: „Die Deutsche Bahn hat die Reichsbahn übernommen – weigert sich aber bis heute, in ihren Räumen und Bahnhöfen an die Einbindung der Reichsbahn in die Verbrechen der Nazis öffentlich zu dokumentieren und zu bedauern.“ Seit Jahren wehrt sich der Noch-Staatskonzern Deutsche Bahn gegen eine Initiative, die eine solche Ausstellung in deutschen Bahnhöfen fordert. So auch in Köln: Seit die Schwelle am 27. Januar 2006 auf Initiative der Gruppe „Die Bahn erinnern“ auf dem Bahnhofsvorplatz in den Beton gedübelt wurde, gibt es darum ein endloses Tauziehen. Mehrfach wurde das Mahnmal abgeschraubt und versetzt. Es gab Ortstermine, Besprechungen zwischen Bahn, Stadt und der Bahn-Initiative, es gab Treffen und Telefonate. Und jetzt hat der Oberbürgermeister offenbar eine seiner Bürgermeisterinnen zurück gepfiffen, die es gewagt hat, eine der Bahn unangenehme Entscheidung zu fällen.

Bei einer Kranzniederlegung am diesjährigen Holocaustgedenktag, also exakt ein Jahr nach der Einweihung des Mahnmals, beschwerte sich die Shoa-Überlebende Tamar Dreifuss über dessen unwürdigen Standort. „Das ist eine richtige Pissecke“, wiederholt Tamar Dreifuss ihre Bedenken gegenüber der taz. In der Tat ist der Ort an der Seite des Bahnhofs zwischen der Drogerie Douglas und dem Altem Wartesaal aufgrund der vorherrschenden Gerüche und seiner versteckten Lage kaum ein angemessener Ort für ein Mahnmal. Ursprünglich hatte die Schwelle dort auch gar nicht stehen sollen: Sie kam erst dorthin, nachdem Bahnmitarbeiter sie kurz nach der Einweihung im vorigen Jahr eigenmächtig demontiert und erst nach energischer Intervention der Bahn-Initiative wieder herausgegeben hatten.

Ein Jahr lang hatte sich offenbar kein besserer Standort für das Bahn-Mahnmal finden lassen. Doch jetzt fielen die Worte von Tamar Dreifuss auf fruchtbaren Boden. Eli Scho-Antwerpes, die SPD-Bürgermeisterin, war ebenfalls bei der Gedenkveranstaltung und nahm sich der Sache an. „‘Macht das mal, setzt die Schwelle um‘, hat sie gesagt“, erzählt Oskar Schlag von der Initiative „Die Bahn erinnern“. Tamar Dreifuss bestätigt das: „Die Bürgermeisterin hat mir zugestimmt und gesagt, das wird gemacht.“ Gesagt, getan: Am nächsten Tag versetzten die Mitglieder der Bahn-Initiative die Schwelle an eine exponiertere Stelle auf dem Bahnhofsvorplatz. Und das war noch nicht alles: Kurze Zeit später stellte man bei einer Ortsbegehung von Ordnungsamt, Feuerwehr, Bahn, Bundespolizei, Elfi Scho-Antwerpes, der Bahn-Initiative und Tamar Dreifuss einhellig fest, dass die Schwelle aus sicherheitstechnischen Gründen am besten noch weiter weg von der „Pissecke“ in Richtung Bahnhofsvorplatz gestellt werden sollte. „Nur der Bahnvertreter erhob Einspruch“, erinnert sich Oskar Schlag. Kurz nach Karneval rückte die Bahn-Gruppe also erneut an und versetzte die Schwelle an den beschlossenen Ort. Tamar Dreifuss war zufrieden: „Das war ein guter Platz: Die Leute schauten hin und haben Kerzen hingestellt“, so die Shoa-Überlebende.

Aber dann bekam die 69-Jährige einen Anruf von Scho-Antwerpes‘ Büro: Die Bürgermeisterin bat um ein Treffen. „Da schien sie zurückzuwanken“, erzählt Tamar Dreifuss. Die SPD-Politikerin habe gesagt, der neue Standort sei leider doch keine Lösung, Oberbürgermeister Fritz Schramma habe sich eingemischt. „‘Mir sind die Hände gebunden‘, hat sie gesagt“, erinnert sich Tamar Dreifuss. Elfi-Scho Antwerpes schildert Sache gegenüber der taz so: Der OB habe den neuen Platz abgelehnt, weil die Bahn nicht wolle und dabei auch ein Wörtchen mitzureden habe. „Dann hat der Oberbürgermeister einen neuen Standort vorgeschlagen, im Innenhof des ELDE-Hauses“, also des städtischen NS-Dokumentationszentrums, zusammen mit einer „ausreichend großen Plakette“ im Boden vor dem Bahnhofseingang. All dies habe sie Tamara Dreifuss erzählt. Die allerdings ist mit den Ideen des OB nicht einverstanden. „Die Schwelle soll am Ort des Geschehens stehen“, beharrt sie.

Da steht sie auch – noch. Nachdem sie am 5. März erneut in die „Pissecke“ umgesetzt wurde. Für die Bahn ist das recht bequem, an dieser Stelle bemerkt sie kaum jemand – und vor allem nicht die Messingplakette mit dem Bahn-kritischen Text. Aber der ist in den Augen der Bahn ohnehin „von vorne bis hinten falsch“, sagt Gerd Felser, Bahnsprecher für NRW. Die Deutsche Bahn habe die Reichsbahn nicht übernommen. Und: „Wir stellen uns unserer Geschichte“.

Wie es weiter geht, ist offen. Die Gespräche zwischen Bahn und Stadt über den neuen Standort – fern des Bahnhofs – laufen noch. Für Elfi Scho-Antwerpes ist der Fall erledigt, sie habe getan, was sie konnte, sagt sie. Für Tamar Dreifuss ist das alles „sehr bedauerlich“. Sie kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Stadt und Bahn „wollen das Thema vom Tisch haben“.