Ein Mann, der nicht schreit

Eine Filmpremiere, bei der der Regisseur zugegen ist, stellt man sich glamourös vor, zumal wenn der Film beim renommierten Festival von Cannes einen Preis erhalten hat. Doch als Mahamat-Saleh Harouns „Un homme qui crie – Ein Mann der schreit“, 2010 an der Croisette mit dem Preis der Jury ausgezeichnet, kürzlich seine erste Berliner Aufführung erlebte, fehlten der rote Teppich und die Abendkleider. Das kleine Central-Kino in einem Hinterhof in Mitte stellte zwar seinen großen Saal zur Verfügung, doch auch der fasst gerade mal knapp 90 Zuschauer. Im Anschluss an die Vorführung trat Haroun vor die Sitzreihen, äußerte sich ein wenig enttäuscht über das kleine Kino, freute sich aber, dass so viele Angehörige der Tschad-Diaspora im Saal waren, und erklärte geduldig, warum er keinen großen Wert auf Filmmusik legt: weil er sein Publikum nicht zu Emotionen zwingen möchte. Auf die Frage nach der Botschaft seines Filmes reagierte er etwas ratlos – was ein Film bedeute, müsse doch jeder beim Zuschauen für sich selbst herausfinden.

Demnächst wird Haroun mehr Glamour genießen können. Denn er gehört der Jury an, die beim Festival von Cannes über die Vergabe der Palmen entscheidet. Vom 11. bis zum 22. Mai wird er jeden Tag die Stufen zum Grand Theâtre Lumière erklimmen, an der Seite seiner Jury-Kollegen, zu denen Uma Thurman, Johnnie To und Jude Law zählen.

Haroun kam 1961 in Abéché im Tschad zur Welt. Als junger Mann floh er über Kamerun nach Frankreich, studierte bis 1986 Film in Paris und wechselte dann zum Journalismus. Nach wie vor lebt er in Paris. Sein erster Langfilm „Bye Bye Africa“ wurde 1999 fertig, es geht darin, recht selbstreflexiv, um einen Regisseur, der nach langer Abwesenheit in den Tschad zurückreist und nach Drehorten sucht. Den Protagonisten verkörpert Haroun selbst. Drei bemerkenswerte Filme folgten seither: „Abouna – Der Vater“ (2002), „Daratt“ (2006) und „Un homme qui crie“ (2010). In allen bilden die Wirren des Bürgerkriegs eine Hintergrundfolie, vor der sich kühl unterspielte, gleichwohl existenzielle Dramen abspielen. Meist geht es um konfliktreiche Vater-Sohn-Beziehungen. In Berlin sagte Haroun, der Bürgerkrieg im Tschad gehe von den Vätern auf die Söhne über. Seine Filme vermessen dieses verheerende Erbe, und je nüchterner sie dies tun, umso mehr tragische Wucht entfalten sie. CRISTINA NORD