Wahlforum wegen Nazis boykottieren?

Sieben Wochen vor der Bremer Bürgerschaftswahl will kandidatenwatch.de Fragen und Antworten zwischen Wählern und Kandidaten vermitteln – ein in anderen Ländern erfolgreiches Projekt. SPD und Linkspartei aber boykottieren es, weil auch rechtsextreme Kandidaten dort auftauchen. Richtig?

THOMAS EHMKE, 28, stellvertretender Landesvorsitzender der SPD, Listenplatz 25.

JA

Am 4. November haben mehr als 8.000 BremerInnen gemeinsam mit Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) unter dem Motto: „Kein Meter den Faschisten!“ gegen einen öffentlichen Auftritt der NPD demonstriert. Es war bislang Konsens aller antifaschistischen und demokratischen Kräfte in Bremen, den Nazis und Neonazis keinen öffentlichen Raum zu lassen für ihre fremdenfeindliche Hetze. Jetzt besteht www.kandidatenwatch.de darauf, die Nazis in ihr Bremer Forum aufzunehmen. Als medialer Partner steht die „linksalternative“ taz Schmiere. Böhrnsen hat an die Initiatoren der Homepage geschrieben, dass er da, wo er es vermeiden kann, sich nicht an die Seite von Rechtsextremen begibt. Der SPD-Landesvorstand hat diese klare Haltung ausdrücklich begrüßt.

Die NPD konnte bei kandidatenwatch.de anlässlich der Berlinwahl nahezu ungehindert ihre Propaganda verbreiten. Ihr Bundesvorsitzender Udo Voigt machte von dieser Möglichkeit weidlich Gebrauch. Auf die Frage, ob Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen habe, kommt Geschichtsrevisionismus pur: „Sie mögen es einen ‚Überfall‘ nennen, wenn in Polen deutsche Bürger abgeschlachtet werden und ihnen das Vaterland zu Hilfe kommt.“ Eine humanitäre Aktion also, der Überfall auf Polen – endlich kann man das einer breiteren Öffentlichkeit näher bringen. „Wieso distanziert sich Ihre Partei nicht ausdrücklich von Mitgliedern, die den Holocaust verleugnen?“, wird Voigt gefragt, und er erklärt seine Verbundenheit mit den Holocaust-Leugnern: „(…) Jedes Mitglied (hat) das Recht auf freie Meinungsäußerung (…). Es ist schlimm genug, daß die BRD (…) hier Sondergesetze schafft.“

Voigt darf sogar so weit gehen, selbst mitzutun bei der Verleugnung des Holocaust – strafrechtlich geschickt, aber eindeutig: „Selbstverständlich war ich in Konzentrationslagern und habe mir dort das angeschaut, was uns dort von denen präsentiert wird, die den Krieg gewonnen haben (…). Das ist grausam, doch wo sind die Lager deutscher Kriegsgefangener zu sehen, eine Ausstellung der Vertreibungsopfer, der im Bombenterror ermordeten Zivilisten?“ Grausam findet Voigt also nicht die ungeheuerlichen Verbrechen, die unter den Nazis in den KZs begangen wurden, sondern das, was durch die Siegermächte präsentiert wird.

Die SPD-KandidatInnen sind im Netz für alle erreichbar. Wir sind auch gerne bereit, mit anderen auf eine gemeinsame Plattform zu gehen. Wir werden uns aber nicht dazu hergeben, den braunen Sumpf, der derzeit angerührt wird, zu legitimieren, indem wir den Eindruck eines normalen demokratischen Miteinander mit Nazis suggerieren. Kandidatenwatch sollte sich im Interesse der Demokratie und Toleranz gegen die Nazis entscheiden.

THOMAS EHMKE

NEIN

PETER RÜDEL ist Chef der Heinrich-Böll-Stiftung Bremen. Grünen-Listenplatz 30.

Die deutsche Geschichte gebietet es, bei Rechtsextremismus wachsam zu sein. Es entzündet sich also zu Recht eine politische Debatte an der Teilnahme auch von Rechten an der Diskussionsplattform „Kandidatenwatch“.

Vor dem Hintergrund erstarkender rechtsextremer Parteien hatten Bundestag und Bundesrat 2001 ein Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht beantragt. Dieser Antrag ist gescheitert – mit der Folge, dass die NPD als Partei an Wahlen teilnehmen kann und Wahlkampfkostenrückerstattungen erhält. Zweifellos bleiben die rechtsextremen Parteien rassistische, oft gewalttätige, antisemitische Organisationen. Verschoben hat sich aber die Frage, wie wir mit ihnen umgehen, da das Verfassungsgericht den autoritären Weg, Polizei und Justiz die Auseinandersetzung zuzuschieben, nicht mitgegangen ist. Es hat die Verantwortung in die Gesellschaft zurückgegeben.

Einige BürgerschaftskandidatInnen erledigen diese Aufgabe nun, indem sie das Gespräch verweigern. Das ist legitim. Aber spielen sie dadurch nicht das Spiel der Rechten einfach mit? Deren Strategie ist doch so offensichtlich: Sie inszenieren sich als Sammlungsbewegung aller, die sich ausgegrenzt fühlen. „Und nun schaut her“, können sie jetzt sagen: „Wir, die das laut aussprechen, sollen verboten werden, man redet nicht mit uns.“ Bereitwillig macht man sie so zu Märtyrern – und Schuld sind natürlich „die Politiker“.

Die Waffe demokratischer Gesellschaften ist das Wort, der Streit um die richtige Politik. Das ist anstrengend, nervig und macht manchmal auch sprachlos. Doch es gibt eine Menge zu reden: Unter dem Stichwort „Globalisierung“ haben Ausgrenzung, Individualisierung, das Reich-arm-Gefälle ja tatsächlich zugenommen. Die Bremer Politik der letzten Jahre hat das Ihrige dazu beigetragen. Auf diesem Boden fischen die Rechten mit Parolen, die der komplizierten Wirklichkeit nicht gerecht werden – und da stellen sich Leute hin, die Bremen regieren und verweigern den Dialog.

Es sind nicht mehr Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, in denen die politische Meinungsbildung geschieht. Und auch Wahlkampfveranstaltungen sind wenig dazu geeignet, weil die Inszenierung im Vordergrund steht. Die Plattform von „Kandidatenwatch“ bildet dagegen eine zeitgemäße Möglichkeit des demokratischen Dialogs, – eine, die allen offen steht, solange zivilisatorische Standards nicht verletzt werden.

Auf www.kandidatenwatch.de sind alle 288 Bremer KandidatInnen zur Bürgerschaftswahl am 13. Mai 2007 verzeichnet. Interessierte können einzelnen KandidatInnen Fragen stellen, diese darauf antworten. Alle Beiträge sind nach Freigabe durch ein Moderationsteam öffentlich. Kandidatenwatch.de gab es zur Bundestagswahl 2005 sowie zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. www.abgeordnetenwatch.de begleitet die Hamburger Bürgerschaft und den Bundestag. Die Bremer SPD-Spitze verkündete, dass SPD-KandidatInnen über das Portal eingehende Anfragen nicht beantworten würden. Auch die Linkspartei will das Portal boykottieren. Die FDP geißelte diese Haltung als „peinlich“. Grüne und CDU stellen es ihren KandidatInnen frei, auf Fragen zu antworten. Bis gestern gingen neun Fragen ein – an FDP, SPD, Grüne, CDU und Linkspartei.  SIM

Oder sollte sich hinter dem moralischen Getöse Ideen- und Konzeptlosigkeit verstecken, die Angst vor zu vielen unangenehmen Fragen? Die Wahlkampfstrategen der Parteien wüssten das und hätten ihren Leuten die Nichtteilnahme empfohlen? Auch diese Variante halte ich nicht für ausgeschlossen. Doch der Preis einer Aufwertung der Rechten, die sie damit bewirken, sollte doch zu hoch sein.

PETER RÜDEL