Proteste in Polen

Abtreibungsgegner und -befürworter gehen in Warschau auf die Straße. Abstimmung im Parlament verschoben

WARSCHAU taz ■ „Das Leben jedes Menschen ist heilig!“ steht auf einem Transparent am Anfang des Protestzuges. Bis zu 8.000 Demonstranten hatten die „Familien Radio Maryjas“ bei der Polizei für ihren „Marsch des Lebens“ angemeldet. Es kam nicht einmal die Hälfte – und jüngere Gesichter unter den mit polnischen Fahnen bewaffneten Teilnehmern waren nur wenige auszumachen.

Das ultrakatholische Radio Maryja hatte mit der rechtsextremen Polnischen Familienliga (LPR), kleinster Koalitionspartner von Premier Kaczyński, schon vor Wochen für die Demo geworben. Mit Marienliedern sollten die Abgeordneten gestern im Sejm veranlasst werden, die Abtreibung per Verfassungsänderung total zu verbieten.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Polen seit 1993 nur erlaubt nach Vergewaltigung und Inzest sowie wenn Leben und in Extremfällen auch die Gesundheit von Mutter oder Kind schwer gefährdet sind. Knapp 200 legale Abtreibungen gab es seit dem Jahr 2000 jährlich in Polen. Es gehört bereits zu den restriktivsten Ländern Europas – wobei es jährlich zu tausenden von Hinterhofabtreibungen kommt.

Der Antrag auf die Verfassungsänderung wurde im November von der LPR eingebracht. Zuerst als billiger Lokalwahlslogan abgetan, erfreute sich das von den Gegnern als „fundamentalistisch“ umschriebene Projekt bald auch in der Kaczyński-Partei PiS gewisser Zustimmung. Vor allem Sejmpräsident Marek Jurek outete sich als glühender Befürworter des Vorschlags und legte sich in der Frage mit seinem Parteichef und Premier Jarosław Kaczyński an.

Doch Präsident Lech KaczyńĽski hat das geltende Recht von 1993 stets als sinnvollen Kompromiss bezeichnet. Die PiS hat ihre Abgeordneten für die ursprünglich für gestern vorgesehene Abstimmung vom Fraktionszwang befreit. Viele dürften so das Projekt der LPR, das auch ein klares Verbot der Euthanasie vorsieht, unterstützen. Die Abstimmung wurde allerdings auf einen unbestimmten Termin nach Ostern verschoben.

Ob die für eine Verfassungsänderung notwendige Zweidrittelmehrheit zustande kommt, ist allerdings fraglich. Die liberale Bürgerplattform (PO) hat sich bereits gegen eine Verfassungsänderung ausgesprochen. Polens Linke, die noch 55 von 460 Abgeordneten stellt, hat sich am Mittwoch einer Protestkundgebung von Frauenorganisationen und Grünen angeschlossen, zu der etwa tausend Menschen erschienen waren. „Nein zu den Verfassungsänderungen der religiösen Fanatiker!“, hieß es auf ihren Transparenten.

PAUL FLÜCKIGER