Massenhafte Gefühle

Wie fühlt sich eine globalisierte Welt an? In „c(r)ash europe“ in Münster entwirft der polnische Dramatiker Tomasz Man eine ökonomisierte Welt der Werte. Eine boulevardeske Inszenierung

von MARCUS TERMEER

Die Welt ist eins. Warschau, Berlin, Prag, Madrid, Budapest, Paris, London, Vilnius, Amsterdam, Rom. Ständig wechseln Orte und Räume: Zwei Badezimmer, mehrere Wohnzimmer, ein Atelier, ein Fotostudio, ein Keller, ein Garten. Der bunte Reigen ist kein Zufall auf den Städtischen Bühnen Münster. „C(r)ash europe“, das neue Stück des polnischen Dramatikers Tomasz Man, ist angelehnt an Arthur Schnitzlers „Reigen“.

Nur schließt sich dieser Reigen am Ende nicht. Die einzelnen Stationen werden per Flugzeug erreicht. Davon erfährt das Publikum aber nur durch die großen Foto-Stills an der Bühnenrückwand. Sie zeigen die ProtagonistInnen allein und verlassen im Flughafen.

„c(r)ash europe“ geht der Frage nach, was der Beitritt zur EU für die osteuropäischen Länder bedeutet. Antwort: einen cash crash aus Kapitalismus, Krise und Geschwindigkeit, der jegliche Beziehung der Ökonomisierung unterwirft, bestehende Werte umstürzt. Das ist eigentlich nichts Neues, bedarf aber sicher immer neuer Bestandsaufnahmen. Dabei geht Tomasz Man allerdings von menschlichen Grundwerten, etwa den „zehn Geboten“, und von Moral aus. So, als hätten diese jemals außerhalb von Herrschaftsverhältnissen gestanden.

Die ProtagonistInnen sind meistens schwanger und aus ganz Europa, die Story ist recht wirr: Ein deutscher Unternehmer und seine schwangere polnische Geliebte, die Unternehmersgattin (auch schwanger), ihre Geliebte – eine tschechische Malerin –, deren Stiefvater, ein Ex-Minister der Franco-Faschisten, dessen ungarische Tochter, ein Model (ebenfalls schwanger) und ihr Geliebter, ein arabisch-französischer Fotograf. Der wird von einem britischen Agenten als vermeintlicher Terrorist gekidnappt. Eine litauische Starjournalistin wird von diesem Agenten zur Wahlmanipulation erpresst, dann von einem Pornoproduzenten in Holland, ihr Verhältnis nicht zu beenden. Der Pornoproduzent hat die Frau seines Freundes in Italien tot gefahren und will seine Schuld tilgen. Die wechselnden Beziehungen unterwerfen die Figuren changierenden Identitäten, bilden ein über Europa verstreutes Geflecht. Stets ist es Geld, und häufig Erpressung, mit dem diese Beziehungen begründet, erhalten, beendet oder geregelt werden.

Die Foto-Stills sind eine kluge Entscheidung von Regisseur Andre Sebastian, brechen sie doch die oft an Boulevard oder Prime-Time-Fernsehspiele erinnernde Szenen. So agieren die Figuren (Carola von Seckendorff, Carolin M. Wirth, Benjamin Kradolfer, Francisco Medina und Wendelin Starcke-Brauer in Mehrfachrollen) auf einer fast leeren, ebenerdigen Bühne: ein dunkles, gerastertes Quadrat als Boden, zwei Stühle – auch eine Reflexion über die Leere der Beziehungen. Dazu zeigen die wechselnden Stills diese Figuren in den „realen“ Interieurs.

Auch die Boulevard-nahen Plots des polnischen Dramatikers Tomasz Man sind nachvollziehbar. Sie markieren die warenförmige Konventionalisierung der Emotionen zutreffend. Nur erliegt auch Man einer genreüblichen Schwäche. Dauernd erzählen sich die Figuren, was sie gemeinsam erlebt haben und wissen. So etwas gehört zu den trivialen Versuchen, das Publikum über die Verhältnisse zu informieren. Den globalisierten ZuschauerInnen kann durchaus mehr zugetraut werden.

Städtische Bühnen Münster, 30. und 31. März, jeweils 19.30 Uhr, Infos: 0251-5909-100/-205