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KOMMENTAR: FRIEDERIKE GRÄFF ÜBER KULTURPOLITISCHEN KLEINMUTAuf in die Provinz

Kulturpolitik liegt in Sachen Avantgarde gleichauf mit ZDF und Arbeitsagentur

Als man in Hildesheim die Kulturwissenschaften, damals noch Kulturpädagogik genannt, einrichtete, ging man bewusst in die Provinz. So behauptet es die Uni zumindest und in der Pressestelle spricht man vom „geschützten Raum“. In diesen geschützten Raum hat man nun erfolgreich den achten Kulturpolitischen Weltkongress geholt, gegen die Konkurrenz aus Seoul und Prag und die Verantwortlichen erzählen von sich aus, dass die Besucher nun erst einmal lernen müssen, wie man Hildesheim ausspricht. Sollen sie.

Die Hildesheimer müssen sich nicht verstecken, das Programm ist interessant, es verhandelt die Kulturpolitik im arabischen Raum, es fragt auch da nach, wo es finanziell weh tut, danach etwa, was nach dem Spektakel Kulturhauptstadt eigentlich bleibt. Natürlich sind die Fragen, die sich in Syrien und Ägypten stellen, dringender und existenzieller als die in Kerneuropa. Aber das ist nicht das Versäumnis der Hildesheimer. Die machen sich an ganz anderer Stelle schuldig: mit ihrem kleinmütigen Umzug nach Berlin. Nach vier Tagen in Hildesheim geht es weiter in die Hauptstadt, um dort dann die Vorzeigeprojekte anzusehen. Ja, die Domäne Marienburg ist nicht die Museumsinsel. Und das Ballhaus Hannover ist weniger hipp als das Radialsystem. Aber wenn so etwas wie Kulturpolitik eine Daseinsberechtigung haben soll, dann ist es die, Kultur, und zwar lohnende, dahin zu bringen, wo sie nicht ohnehin ist. Also nach Hildesheim, Bremerhaven und Winsen an der Luhe.

Wenn das nicht gelingt, kann man das Geld sinnvoller in Neukölln vor den Türen der Off-Szene ablegen. Und wer sich mit eben jener Kulturpolitik befasst, tut gut daran, sich die kulturelle Wirklichkeit vor Ort anzusehen. Kulturpolitik hat einen mäßig guten Ruf, in Sachen Avantgarde und Erfindungsreichtum liegt sie gleichauf mit ZDF und Arbeitsagentur. Wenn diejenigen, die sie beeinflussen wollen, im entscheidenden Moment lieber auf Nummer sicher gehen, wird es so bleiben.

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