ALTE MEISTER
: Das verdeckte Verbrechen

Das Pensum lag bei rund zwei Metern pro Tag. Am Ende war der Tunnel, der 475 Talibankämpfer aus dem afghanischen Sarposagefängnis befreite, über 300 Meter lang. Fünf Monate hatten sie gegraben. Ein Coup, der selbst den Ausbruch von Steve McQueen in „Gesprengte Ketten“ in den Schatten stellt.

In dem Klassiker von Regisseur John Sturges aus dem Jahre 1963 fliehen alliierte Kriegsgefangene aus einem deutschen Lager. Sie wählen dazu, wie am Montag die Taliban, die edelste Form der Gefängnisflucht: den Tunnelbau.

Ob mit Schaufel oder gar Löffel („Die Flucht von Alcatraz“), der Ausbruch durch die Erde steht für Cleverness, Chuzpe und sogar Anstand. Der Verbrecher wird zum gewieften Sympathieträger, zumindest solange niemand zu Schaden kommt. Hollywood hat daraus das Genre „Heist-Movie“ gemacht.

Auch in Kandahar wurde bislang noch niemand erschossen. Es scheint also, als wären selbst Talibanextremisten lernfähig. Als vor drei Jahren mehrere hundert Gefangene aus demselben Gefängnis stürmten, kamen zwanzig Menschen ums Leben, darunter zehn Polizisten.

In „Gesprengte Ketten“, der auf wahren Ereignissen aus dem Zweiten Weltkrieg basiert, gruben die gefangenen alliierten Soldaten, um ihre Fluchtchancen zu erhöhen, nicht nur einen, sondern gleich drei Tunnel, namens Harry, Dick und Tom.

Diese waren mit Holz verschalt, beleuchtet und mit Luftpumpen versehen. Dazu waren die Schächte mit Gleisen für kleine Waggons ausgerüstet. Die Talibankämpfer bedurften so viel Ingenieurskunst nicht, um freizukommen.

Sie profitierten schlicht von den korrupten Wärtern, die den Flüchtenden keine Steine in den Weg legten, sondern fleißig bei der Flucht halfen. Ein Steve McQueen hatte es da bedeutend schwerer. ROBERT IWANETZ