berliner szenen Bandidos

Vom Glück beraubt

Des Nachts weckt mich nur das Glück. Es kommt in langgezogenen Schreien, frisst sich durch die obersten Schichten meiner Träume und dringt tief in den Kern meines Bewusstseins. Und wach. „Yippieee, ick hab jewonnen“, schallt es durch die Nacht, „könnta dit glooben?“ Ja, ich kann.

Inzwischen kann ich es. Am Anfang, als ich gerade nach Neukölln gezogen war, konnte ich es nicht. Die Kinder aus dem umliegenden Straßen brechen einmal in der Woche die Briefkästen auf, im Papiercontainer liegt Bauschutt, der Kaisers riecht nach Alkoholikern. Und dann diese Geräusche. Abends, wenn es dunkel wird und stiller, kann man sie hören: diet, düt, düt, poiiing, diet, düt, düt. Am Anfang dachte ich, die türkischen Jungs hätten für ihre Partys eine Playstation auf den Hinterhof geschleppt. Aber es war niemand zu sehen. Bis ich mitbekam: Die Kneipe unten an der Ecke ist nicht einfach nur eine Kneipe. Sie hat zwei Spielautomaten. Mit bunten Knöpfen, flimmernden Zahlen und jeder Menge Düt und Poiing. Und ihre Hintertür führt direkt auf unseren Hof.

Jeden Abend versammeln sich in der Kneipe Männer mit grauem oder schütterem Haar – in Jeanswesten oder Jogginghosen. Sie tragen Schnauzer und schmuddelige Basecaps. Sie begrüßen sich mit „Kalli“, „Schnute“ und „Deli“. Sie erzählen, sie seien Mitglied der Rockergang Bandidos, weil sie bei den Hells Angels keiner haben wollte. Geschichten, die nur beim ersten Mal interessieren. Sie versuchen, immer wieder ihr Glück zu finden an den Automaten. Es gelingt ihnen selten. So selten, dass sie, wenn es dann doch einmal klappt, nach draußen rennen und schreien müssen. Dann weckt mich das Glück.DANIEL SCHULZ