Zumutbare Härte

Anwältin wundert sich: Bei einer Scheidung unter Christen zählt doch auch nicht die Bibel

Der Nochehemann beschimpfte sie per Telefon und drohte, er werde sie umbringen

VON COSIMA SCHMITT

Sie haben sich besonnen. Sie wollten es dann doch nicht hinnehmen, dass an einem deutschen Gericht mit dem Koran argumentiert wird. Dass eine Richterin suggeriert: Eine Frau, die einen Muslim heiratet, muss damit rechnen, verprügelt zu werden. Das sei eben Teil der Kultur. Gestern zogen die Zuständigen am Amtsgericht Frankfurt eine Richterin zurück, die mit einer sehr eigenwilligen Auffassung in die Schlagzeilen geriet.

Auf den ersten Blick wirkt der Fall nicht sonderlich konfliktträchtig: Eine 26-jährige Deutsche marokkanischer Herkunft sucht Hilfe. Sie ist mit einem Marokkaner verheiratet, der sie schwer misshandelt hat. Die Mutter zweier Kinder stellte einen Antrag auf Gewaltschutz, dem auch stattgegeben wird. Der Mann musste aus der Familienwohnung ausziehen und darf sich ihr nicht mehr nähern.

Befreit fühlte sich die Frau dennoch nicht: Ihr Nochehemann beschimpfte sie nun per Telefon und drohte, er werde sie umbringen. „Die Frau ist völlig verzweifelt, sie fürchtet um ihr Leben“, sagte ihre Anwältin, Barbara Becker-Rojczyk, der taz. Die beiden sinnen auf einen Ausweg: Eine rasche Scheidung, so hoffen sie, werde die Schikanen beenden, werde dem Expartner verdeutlichen: Das Leben dieser Frau geht dich nichts mehr an.

Anwältin und Mandantin reichen beim Amtsgericht Frankfurt einen Antrag auf vorzeitige Scheidung ein. Eine Ehe noch vor Ablauf des Trennungsjahres aufzulösen ist juristisch möglich – aber nur, wenn alles andere als unzumutbare Härte aufgefasst wird. In älteren Urteilen etwa des Oberlandesgerichts Stuttgart wurde Gewalt in der Ehe als ein solcher Grund anerkannt.

Nicht aber in diesem Fall. Die Richterin lehnt den Antrag ab. „Für diesen Kulturkreis ist es nicht unüblich, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt. Hiermit musste die in Deutschland geborene Antragstellerin rechnen, als sie den in Marokko aufgewachsenen Antragsgegner geheiratet hat“, heißt es in einem Schreiben der Richterin vom 12. Januar 2007, das der taz vorliegt.

Anwältin und Mandantin fanden die Begründung seltsam. Sie stellten einen Antrag auf Befangenheit, auf den die Richterin im Februar reagierte: Sie verwies auf den Koran, nannte die Sure 4, Vers 34, wonach der Mann das Recht habe, die Frau zu züchtigen. Nach dem Koran sei „die Ehre des Mannes an die Keuschheit der Frau gebunden, das heißt im Grunde genommen für einen islamisch erzogenen Mann, dass das Leben einer Frau nach westlichen Kulturregeln bereits einen Tatbestand der Ehrverletzung erfüllt.“ Auch diese Dinge könnten „lediglich den Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz begründen, nicht aber die unzumutbare Härte im Sinne des § 1565 BGB“.

Damit verwies die Richterin auf genau jenen juristischen Tatbestand, mit dem sich eine Ehe schon vor Ablauf des Trennungsjahres auflösen lässt.

Koran statt Gesetzbuch, ein religiöses Werk als Basis juristischer Entscheidungen – das ist es, was die Anwältin empört. „Es ist skandalös, wenn sich eine Richterin in einem zivilrechtlichen Verfahren auf religiöse Vorschriften beruft“, sagt Becker-Rojczyk. „Wir argumentieren bei einer Scheidung unter Christen ja auch nicht mit der Bibel.“

Sie hat lange gegrübelt, warum ausgerechnet eine Richterin, die nach Kollegenangaben als „sehr emanzipiert“ gilt, zu einer derart anfechtbaren Begründung greift. „Ich kann mir das nur mit dem Blick auf die Geschichte erklären. Die Menschen haben solche Angst davor, als Rassisten zu gelten, dass sie dann nicht mal mehr eingreifen wollen, wenn Grundrechte verletzt werden. Sie folgen dem Motto: „Ausländer sind per se gut.“

Immerhin: So ganz allein stehen Anwältin und Mandantin mit ihrer Empörung nicht da. Nicht nur die Öffentlichkeit reagiert alarmiert (siehe rechts). Auch Familienrichter Michael Höhler, der über den Befangenheitsantrag entscheiden musste, wollte diese Suren- und Koran-Argumentation nicht mittragen. Er stimmt gestern dem Antrag zu. „Für das Ehescheidungsverfahren ist jetzt eine andere Richterin zuständig“, sagte Bernard Olp, Vizepräsident des Amtsgerichts, der taz. Diese Entscheidung sei „nicht anfechtbar“. Die Richterin, die nicht mehr zuständig ist, schweigt sich bislang zum Thema aus. Die Debatte aber, wo die Grenze verläuft zwischen Toleranz und Rassismus, ob nicht Menschenrechte höher zu werten sind als ein ohnehin umstrittenes Religionsverständnis, wird weitergehen.