Die Rivalin in Grund und Boden lächeln

Mehr Taschengeld, weniger Revolution: In Jossi Wielers Inszenierung von Elfriede Jelineks RAF-Stück „Ulrike Maria Stuart“ an den Münchner Kammerspielen scheint Politik nur noch Vorwand für Fehden der Eifersucht. Das Sehnen nach dem Mann pfuscht auch der Emanzipation ins Handwerk

VON SABINE LEUCHT

Was tut sie da eigentlich, die Nobelpreisträgerin aus Österreich? Greift in die jüngere bundesrepublikanische Geschichte hinein und zieht zwei Figuren heraus, die heute vielleicht einfach nur wieder aus dem Gefängnis herausgekommen wären, hätten sie sich nicht durch Selbstmord zu Legenden gemacht. Ihnen fügt Elfriede Jelinek zwei Königinnen hinzu, die Schiller 1799 zu einem mörderischen Kräftemessen in den Theater-Ring geschickt hat. Und schließlich spinnt sie zwischen Ulrike Meinhof und Maria Stuart von Schottland wie zwischen Gudrun Ensslin und Königin Elisabeth I. von England ein paar lässige Fäden, die es immerhin zu einem Titel bringen: „Ulrike Maria Stuart“ heißt das neueste Stück der Jelinek, das die Wortgewaltige nicht als Text veröffentlichen wollte.

Wie ihre Titelfigur sich selbst ihrer Widersacherin gibt die Autorin stattdessen ihr Werk dem Theater anheim, auf dass es dessen tönerne Jamben und Trochäen breche, bis es splittert und kracht: „Das muss so inszeniert werden, dass die Figuren quasi neben sich selber herlaufen, dass eine Differenz erzeugt wird, und zwar von ihnen selber. Es steht nicht der reine Mensch vor uns, sondern eine Absonderung …, wie Gestank, der ihn umweht; es darf keinesfalls vornehm oder dichterisch sein, es muss alles runter runter runter. Runter die Hosen, runter die Röcke!“, so schrieb die Dichterin in einem Gruß an die Regie, den der Uraufführungsregisseur Nicolas Stemann gehört zu haben scheint.

Am Hamburger Thalia-Theater, so liest man in anerkennend-amüsierten, aber mit Fragezeichen gespickten Kritiken, gab es viel Pop und Spaß, etwas Theaterblut und -scheiße, eine Jelinek-Wiedergängerin in einem Vulva-Kostüm und eine lustige Rentnerband. Kurz: viel Hosen-runter, aber wenig Positionen.

In den Münchner Kammerspielen, wo sich Jossi Wieler mit „Ulrike Maria Stuart“ zum fünften Mal an Jelinek-Textflächen reibt, gibt es eigentlich beides nicht. Hosen wie Röcke bleiben an und alles Politische ist hier zuweilen fast banal privat: „Warum mussten wir deinen entsetzlichen Bekanntenkreis überhaupt kennenlernen, Mami?“, fragen die „Prinzen“ genannten Nachgeborenen des Terrors, für die der Kampf um mehr Taschengeld schon der Gipfel des Aufbegehrens ist. Dieses Unterlaufen der Erwartung einer politischen Haltung, angestachelt durch die Diskussion um die Entlassung der RAF-Inhaftierten, wirkt da fast wie eine programmierte Enttäuschung.

In einer Art Totenmahl, das zu Beginn in milchigem Licht zwei kritische RAF-Zeitgenossen und zwei „Prinzen“ um einem Tisch versammelt, brechen nacheinander zwei starke Auftritte ein: Der erste gebührt Bettina Stucky, die Ulrike Maria spielt: Eben noch hat sie aus der Verschwommenheit des Hinter- oder Untergrunds auf ihre abgeworfene Bürgerhaut gepfiffen, schon bringt der Gedanke an ihre Kinder ihr die Bürgerhaut zurück: Und weh muss sie ihr tun, so, wie die Ärmste ihren schweren Körper gegen die Wand presst und den Kopf wieder und wieder dagegen schlägt. Als ließen sich so Ideologie und Gefühle ein für alle Mal trennen. Im zweiten starken Auftritt räumt Brigitte Hobmeier nicht nur mit jenem Stück bürgerlicher Tischkultur auf, das sie mit königlichem Schwung von der Tafel zieht, sondern sie lächelt auch die Rivalin und „Schwester“ in Grund und Boden. Das tut sie als Schillers Richterin über Leben und Tod und als schöne Frau der Tat.

Dass die überlegene Meister-Terroristin ironischerweise in einer Boutique verhaftet wurde, wird im zweiten Teil dieser Familiensaga lang und breit erzählt. Überhaupt geht es in Jelineks mit allen Romantizismen aufräumender Zitatensammlung weniger um die RAF im Sinne eines in die Gegenwart hineintönenden Fragments linker Mentalitätsgeschichte als vielmehr um die Frau in jener armseligen Revolte, die man Emanzipation zu nennen gewohnt ist.

Ulrike Maria – „Eine Medea, die von ihren Kindern überlebt wird“ – und Gudrun Elisabeth, die ebenso hungrig auf Macht und Gewalt wie auf schicke Pullover ist, agieren zwar wider das Weiblichkeitsklischee oder fügen ihm zumindest etwas hinzu. Doch es erwächst ihnen nichts daraus als Zerstörung. Stucky spielt die von Anfeindungen und Isolationshaft müde gewordene Titelfigur sehr geerdet und doch so, als trüge sie den Strick bereits um den Hals. Und bei Hobmeiers grausamer, gurrenden, wohl nicht nur vom Hungerstreik geschwächten Sphinxen-Königin weiß buchstäblich die eine Hand nicht, was die andere tut: Reißverschluss auf – Reißverschluss zu. Unentwegte nervöse Selbstsabotage.

Schillers Elisabeth hat ihre unbeugsame Widersacherin hinrichten lassen, Ensslin hat die Meinhof um eineinhalb Jahre überlebt – bei Jelinek/Wieler sieht es schlicht so aus, als wären zwei starke Weiber auf einem Fleck mindestens eine zu viel. Zumal es da immer einen gibt, der zu vielen wirren Worten Sonnenbrille trägt: den Mann, der nicht Andreas Baader oder Lord Leicester heißen muss, um alle weiblichen Gedanken sofort an sich zu binden.

Womöglich fällt Felicitas Brucker, die das Stück im April im Hannover inszeniert, zu diesem Thema mehr ein. Denn der Macho als Nabel unseres Sehnens ist als Fazit so dürr, wie einen die ganze feine Inszenierung ratlos macht. Doch wie heißt es noch im Stück: „Was anderes als Suchen gibt es nicht für Menschen. Tiere suchen öfter Bäume auf.“