„Eine Neurose“

taz: Herr Aptekmann, warum wurde über den Krieg in Argentinien so lange geschwiegen? Marcelo Aptekmann: Es war es eine Schande, dass der Krieg überhaupt angefangen wurde, wie er geführt wurde und wie er aufgehört hat. Und ganze Bevölkerung ist mitmarschiert und hat der Militärjunta zugejubelt. Darüber schämt sie sich und möchte am liebsten kollektiv schweigen. Zumal wir der Niederlage auch noch unsere Demokratie zu verdanken haben. Hätten wir nicht geschwiegen, hätten wir einsehen müssen, dass die armen Jungs, die wir dahin geschickt haben, für uns eine teure Rechnung bezahlten. Was bedeuten die Malwinen für die Argentinier? Im Jahr 2010 feiert Argentinien 200 Jahre seiner Unabhängigkeit von Spanien. Argentinien, wie wir es heute kennen, existiert als nationale Einheit jedoch erst seit ungefähr 100 Jahren. Das Land wurde rückwirkend erfunden und dazu auch seine Geschichte. Dazu gehört der Glaube, dass die Engländer uns immer beraubt haben. Und sie haben uns selbstverständlich auch die Malwinen geraubt. Das hat jedes argentinische Schulkind in den letzten 80 Jahren eingehämmert bekommen: „Wir Argentinier haben Recht, die Engländer haben Unrecht, und wir müssen die Inseln zurückbekommen!“ Dieser Glaube ist ein fester Bestandteil unserer nationalen Identität. Wer dies nicht glaubt, steht im Verdacht kein Argentinier zu sein. Das nenne ich die argentinische Neurose. INTERVIEW: JUEVO

Marcelo Aptekmann ist Buchautor und Psychologe. Er praktiziert in Buenos Aires. FOTO: JUEVO