Zoo lässt Kinder verstummen

Die ersten Ergebnisse der Sprachtests für Vierjährige fallen deutlich schlechter aus als vom Land kalkuliert. Ministerium: „Dann geben wir eben mehr Geld für Sprachförderung aus“

VON MIRIAM BUNJES

Über Delfine sprechen viele Vierjährige nicht gern. Die ersten Städte stellen jetzt die Ergebnisse des neuen landesweiten Sprachtests vor. Ergebnis: Deutlich mehr Kinder als erwartet sprechen zwei Jahre vor ihrer Einschulung nicht so gut wie sie sollten – zumindest nicht beim Testspiel „Delfin4“. „Das hatten wir so nicht erwartet“, sagt Heinz Heidbrink, Schulrat im Kreis Steinfurt. „Wie es aussieht, müssen 35 Prozent unser Kinder zum zweiten Test wiederkommen.“

Noch drastischer ist das Fazit der Stadt Hagen: Hier wurden 1070 von 1.924 Kindern als auffällig eingestuft. „Das liegt zum Teil daran, dass die Kinder wirklich schlecht sprechen“, sagt Schulamtsdirektorin Gisela Opitz. „Einige haben aber aus Schüchternheit nichts gesagt.“ Ähnliches berichten viele Schulämter im Land, die ihre Zahlen aber erst in der kommenden Woche vorstellen wollen. In Bochum hat die Arbeiterwohlfahrt, Träger mehrerer Kindergärten, aus Protest gegen den Test die Sprachstandserhebung eingestellt, berichtete gestern der WDR. Der Test sei laut AWO zu schwer. Alle nicht getesteten Kinder müssen automatisch zum zweiten Testlauf – der Sprachtest gehört zur Schulpflicht.

Die Landesregierung hatte ursprünglich für 20 Prozent der Kinder Förderbedarf erwartet. „Wenn es jetzt tatsächlich mehr sein sollten, wird es auch mehr Geld vom Land geben“, sagt Barbara Löcherbach, Sprecherin im NRW-Familienministerium. Getestet wurden im März fast 180.000 Kinder, die im Schuljahr 2009/2010 eingeschult werden sollen. Im Mai müssen alle Auffälligen zu einem zweiten Test antreten, der auch in den Kitas stattfindet.

„Dabei werden viele Kinder doch noch als normal eingestuft werden“, sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) NRW. „Delfin4 hat als Messinstrument viele Macken“, sagt Beckmann, in dessen Verband auch die ErzieherInnen organisiert sind. Deren Hauptkritik: Die Testsituation schüchtert die Kinder so ein, dass sie überhaupt nichts mehr sagen – obwohl sie eigentlich gut sprechen können.

Eigentlich sollte das Spielerische des Tests solche Artefakte ausschließen: „Delfin4“ ist ein buntes Spielbrett, auf dem die Kinder einen Gang durch den Zoo machen. Dabei sollen sie inhaltlich unsinnige Sätze und erfundene Worte nachsprechen, Geschichten erzählen und ihre Spielfiguren auf Anweisung platzieren. Geleitet wird „Delfin4“ von einer Erzieherin. Im Hintergrund protokolliert eine Grundschullehrerin die Ergebnisse.

„Diese fremde Person verunsichert die Kinder“, sagt Beckmann. „Und weil sie sowieso angewiesen werden, fast die ganze Zeit still zu sein, schweigen sie gleich ganz.“ Tatsächlich darf bei „Delfin4“ immer nur das Kind, das an der Reihe ist, sprechen. Das Spiel wird meistens mit vier Kindern, mindestens aber mit dreien, gespielt. Laut der Testentwicklerin Lilian Fried (siehe Interview) dauert eine Runde etwa 25 Minuten. Viele Kitas berichten aber von 60 und mehr Test-Minuten. „Das ist zu lang“, sagt Beckmann. Er fordert, dass die Sprachtests vollständig in die Hände der Kindertagesstätten gelegt wird. „Wenn Delfin4 in den Spielgruppen gespielt wird, fallen viel weniger Kinder durch.“

340 Euro pro Kind erhalten die Kitas zur Förderung jedes Kindes mit ertesteten Sprachstörungen. Wofür sie das Geld ausgeben, ist ihre Sache. „Wir empfehlen zwei Programme“, sagt Ministeriumssprecherin Löcherbach. „Es gibt aber viele gute Ideen aus der Praxis, wir lassen den Kitas da Raum.“

Wie der gefüllt werden soll, ist den ErzieherInnen bislang noch nicht klar. „Die beste Sprachförderung ist mehr Personal“, sagt VBE-Chef Beckmann. „Wenn sich eine Erzieherin um 25 Kinder kümmern muss, hat sie keine Zeit für ausführliche Gespräche mit einzelnen Kindern.“