Das neue Phantom

Im Falle des Polizistinnenmordes von Heilbronn, der sich am Ostermontag zum vierten Mal gejährt hat, tappen die „Phantom“-erfahrenen Ermittler im Dunkeln. Berichten Medien von brisanten Spuren, sprechen Polizeifunktionäre gerne von „Verschwörung“

von Rainer Nübel

Wie weit gehen die Chefs baden-württembergischer Polizeibehörden, um Ermittlungspannen zu vertuschen? Diese Frage haben wir in unserer vorletzten Kontext-Ausgabe gestellt. Anlass dazu war insbesondere der Polizistinnenmord von Heilbronn, der sich am Ostermontag zum vierten Mal gejährt hat. Statt den Mörder der jungen Streifenpolizistin Michéle Kiesewetter hatten die Heilbronner Polizei und das Landeskriminalamt, wie sich im März 2009 zeigte, zwei Jahre lang ordinäre Wattestäbchen gejagt, mit einem finanziellen Millionenaufwand, der ins Leere ging. Und statt die in Angst und Schrecken versetzte Bevölkerung rechtzeitig aufzuklären, hatten die Ermittlungsbehörden monatelang DNA-Funde geheim gehalten, die zeigten, dass es die inzwischen legendäre „Phantomkillerin von Heilbronn“ nicht geben konnte.

Und faktisch nicht gab. Die dramatische Konsequenz dieser Vertuschung: vom Mörder von Michéle Kiesewetter fehlt bis heute jegliche Spur.

Russenmafia in Heilbronn? Gibt es nicht, sagt die Polizei

Der Heilbronner Polizeichef Roland Eisele nannte jetzt die Recherchen von Kontext:Wochenzeitung in der Heilbronner Stimme „Verschwörungstheorien“. Kontext hatte geschildert, wie hartnäckig zuständige Ermittlerchefs in der ganzen Zeit der Phantom-Farce immer dementiert hatten, dass die Täter aus Kreisen der osteuropäischen Mafia stammen könnten. Russenmafia im Raum Heilbronn? „Gibt es nicht“, hatte es stets geheißen. Und radikale Islamisten schon gar nicht. Fakt aber ist: Kurz nach der Tat wurden in direkter Nähe zum Tatort zwei arabische Personen von der Polizei angetroffen. Sicherheitsexperten ordnen sie der radikal-islamistischen Szene zu. Und vor allem: Kurz nach dem Mord hatten mehrere Zeugen einen hektisch rennenden, blutverschmierten Mann nahe dem Tatort gesehen. Es war ein Osteuropäer.

Kurz nach dem Mord, Ende April 2007, hielt man bei der Heilbronner Polizei in einem internen Dokument Folgendes fest: „Als weiterer Ermittlungsschwerpunkt ist die Fahndung nach einer bislang nicht identifizierten blutverschmierten Person zu sehen, welche am Tattag, gg. 14.30 Uhr, im Bereich der Sontheimer Straße in Heilbronn (Entfernung zum Tatort ca. 1.500 m), rennend aus dem Wertwiesenpark kommend, nach Aufforderung eines russisch sprechenden Pkw-Fahrers in seinen dort wartenden Pkw, Audi 80, Farbe blau, mit Mosbacher Kennzeichen auf der rechten hinteren Pkw-Seite einstieg. Anschließend wendete das Fahrzeug und fuhr in auffallend schneller Fahrt in Richtung Sontheim bzw. der dortigen Neckarbrücke davon. Beim Heranlaufen an das Fahrzeug behinderte der Mann ein auf dem Fahrradweg in Richtung Sontheim fahrendes Radlerpaar. Eine weitere Zeugin […] schrie beim Auftauchen des blutverschmierten Mannes laut auf.“

Trotz „intensiver Ermittlungen“ habe die Suche nach dem blutverschmierten Mann „keine weiteren Ansatzpunkte“ geliefert, zitiert jetzt die Heilbronner Stimme den Polizeichef. Das wirft Fragen auf: Hat die Polizei den russisch sprechenden Pkw-Fahrer ausfindig gemacht? Immerhin wusste man frühzeitig, dass er einen blauen Audi 80 mit Mosbacher Kennzeichen fuhr. Wie viele blaue Audi 80 gibt es? War einer als gestohlen gemeldet, passen Kennzeichenfragment und Wagen zusammen oder wurde ein Kennzeichen gestohlen, um Spuren zu verwischen?

Und konnte der blutverschmierte Mann, den der Pkw-Fahrer auf Russisch in seinen Wagen dirigierte, identifiziert werden? Wenn ja, was waren die Gründe, warum er mit Blut verschmiert war und derart hektisch rannte, dass er offenbar ein radelndes Paar übersah? Wenn nicht, warum ist es nicht gelungen, ihn zu identifizieren? Wie intensiv hat man ermittelt? Gab es Pannen? Ging oder geht man bei der Polizei davon aus, dass der Mann der Mörder von Michéle Kiesewetter war? Fakt ist: Der Täter muss blutverschmiert gewesen sein, denn er hatte der toten, blutüberströmten Beamtin die Dienstwaffe, das Magazin, die Handschellen, Pfefferspray, Taschenlampe und damit fast den gesamten Einsatzgurt abgenommen.

Jetzt ist von einem neuen Ermittlungsansatz die Rede

Seitens der Heilbronner Polizei hatte es vor wenigen Monaten noch geheißen, die Spur des blutverschmierten Mannes sei ausermittelt. Jetzt aber hatte das Landeskriminalamt auf unsere Anfrage erklärt, die Ermittlungen zu diesem Komplex seien noch nicht abgeschlossen, und von einem „neuen Ermittlungsansatz“ gesprochen. Und auch Heilbronns Polizeichef Roland Eisele sagt nun plötzlich: „Wir sind noch dran.“ Bei den Trauerfeiern im Jahr 2007 hatten hohe Polizeifunktionäre des Landes, darunter auch der Noch-Innenminister Heribert Rech, versprochen, alles daranzusetzen, den „feigen Mord“ aufzuklären. Fritz Wenzel, der Großvater der ermordeten Polizistin, kam am Ostermontag, dem Todestag seiner Enkelin, nach Heilbronn, auf die Theresienwiese, zum Tatort. Er hoffe, dass der Täter doch noch gefasst werde, sagte er der Heilbronner Stimme. Damit man „endlich abschließen“ könne. Zu den Ermittlungen sagte er: „Es sind viele Fehler gemacht worden.“