kurzkritik
: Wie „Thriller“ auf 9Live

Schon während das Publikum zur „Komödie der Verführung“ in den Saal strömt, liegen zehn Blutverschmierte auf der Bühne: Schöne Menschen, Frauen in Cocktailkleidern, die weißen Westen der Männer blutdurchtränkt. Wenig später findet man sich auf einer Stehparty: „Wissen Sie was? Ich finde, jetzt sollte die Stimmung hier mal überlustig werden!“ Das irre Tanzen der Blutigen erinnert an den Videoclip zu Michael Jacksons „Thriller“, gepaart mit dem Charme einer Quizshow auf 9Live.

Karin Henkels Inszenierung von Arthur Schnitzlers Stück über verlogene Sexualmoral ist auf Skandal gebürstet. Balzende Liebhaber geben sich die Klinke in die Hand, während drei Frauen darum ringen, nicht als die eigentlichen Jägerinnen enttarnt zu werden. Dazu wummert Peaches’ „I don’t fuck about my reputation“. Würden Schnitzlers Figuren auch weniger Wert auf ihren zu verlierenden Ruf geben, wäre das Chaos der gebrochenen Herzen und Täuschungen viel harmloser. So aber schlagen zehn Menschen die Zeit bis zum ersten Weltkrieg mit Affären tot und bezirzen sich wahlweise mit Rosen an Dartpfeilen oder Flieder (volle Punktzahl für das Wortspiel: Saturday Night Flieder). Wie im Märchen wählt die rätselhafte Aurelie (Jana Schulz), einen von drei Ehe-Anwärtern aus – der sie sogleich wieder verlässt. Die heimliche Hauptrolle, Judith, spielt Ute Hannig, die bereits 2006 als Medea überzeugte. Ein akribischer Blick auf scheinbar glückliche Singles – empfehlenswert. JESSICA RICCÒ