Reisegruppe Flüchtling

THEATER-UTOPIE Das Junge Schauspiel Hannover hat jugendliche Zuwanderer eingeladen, über die Sommermonate die Ballhof-Bühne zu besetzen und ein Stück zu entwickeln. Im Ergebnis ist „Tor zur Freiheit“ dann doch ein sehr deutscher Theaterabend geworden

Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Jugendliche Zuwanderer, die in den Medien immer wieder mit dem Stigma „Flüchtling“ gebrandmarkt werden, nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Mit der Ballhof-Spielstätte in Hannover besetzen sie einen Sommer lang einen der Orte, an denen sich das Bildungsbürgertum gern selbst verortet. Mit gemeinsamem Kochen, Performances und Gesang machen sie mitten in der Stadt auf sich aufmerksam und werden so, indem sie Kunst produzieren, Teil dieser Gesellschaft.

Die „Ballhofbesetzung von jugendlichen Zuwanderern“, die das Junge Schauspiel Hannover im Untertitel zu seiner Uraufführung „Tor zur Freiheit“ ankündigt, ist allerdings keine echte Besetzung. Sie ist vielmehr eine Utopie, die die Theatermacher Anna Horn (Regie) und Lucie Ortmann (Dramaturgie) gemeinsam entwickelt und inszeniert haben.

Wie schwierig dabei Realität und Idealismus zusammenzubringen sind, zeigt vor allem der erste Teil dieses Abends. In einer Art Erlebnis-Parcours sollen die Zuschauer selbst zu Flüchtlingen werden. An verschiedenen Stationen vor und hinter der Bühne des verschachtelten Ballhof-Komplexes soll erfahrbar werden, was das eigentlich heißt, als Flüchtling nach Hannover zu kommen.

Geführt werden die überwiegend deutschen Besucher nicht etwa von den vermeintlichen Ballhof-Besetzern, sondern von perfekt deutschsprachigen Mitgliedern des Jugendclubs, die sich zu diesem Zweck in hellblaue Fantasie-Uniformen gezwängt haben und in latent aggressivem Ton die Besucher durch das Gänge-Labyrinth schleusen.

Eine unglückliche Distanz entsteht so, die sich bis zur Applaus-Ordnung fortsetzt. Hier die überwiegend deutschen Reisegruppen, dort die Zuwanderer – wie gern wären wir mit einem von ihnen durchs Haus gelaufen – schon während des Rundganges ins Gespräch gekommen. Das sei nicht möglich gewesen, hört man aus dem Theater, die meisten wüssten nicht genau, was Theater in Deutschland bedeute: nämlich glasklare Absprachen und ein minutiöses Erfüllen derselben. Aber hätte sich gerade bei einem solchen Abend nicht eher das deutsche Theater den Menschen anpassen müssen?

So werden wir durch einen Parcours geführt, auf dem von den angeblichen Besetzern nur selten etwas zu sehen ist. Dafür viel von der politischen Verortung der Macher. In einer Raum-Installation wird die vermeintliche Brutalität der Behördenbürokratie nachvollziehbar. In einem Wartebereich zusammengepfercht, werden die Zuschauer in Dreiergruppen in eines der nummerierten Zimmer geführt.

Was sie dort erwartet, sehen die anderen nicht. Und wenn sie zurückkommen, dürfen sie nicht darüber sprechen. Auf einem Monitor formulieren junge Menschen immer wieder die Worte: „Wovor habt ihr Angst?“ Auch eine simulierte Bootsfahrt auf einem wackeligen Podest nebst Kunstnebel und ein Gang durch die Absperrband-Labyrinthe der Flughäfen ist Teil der Flucht-Simulation, die dann doch stellenweise arg plakativ daherkommt.

Emotional viel packender ist die Konfrontation mit den echten „Besetzern“, die den Besuchern im zweiten Teil auf der Bühne des Ballhofes als große Gruppe gegenübertreten. In kleinen Szenen erzählen sie von allem, nur nicht von den traumatisierenden Erlebnissen während ihrer Flucht. Von der ersten Liebe und Studienplänen erfahren wir so. Und davon, was in Deutschland anders sei als in ihren Heimatländern: „Hier ist die Polizei freundlich zu den Menschen und hilft ihnen.“ ALEXANDER KOHLMANN

■ Sa, 13. 9. und So, 14. 9., je 17 + 19.30 Uhr, Ballhof Eins, Hannover