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Es ist verboten, schön zu malen

Nackte Frauen und Leichen im Bahnwaggon: Für den Künstler Boris Lurie haben Sex und Gewalt viel miteinander zu tun. Der intime Dokumentarfilm „Shoah und Pin-ups“ widmet sich dem Mitbegründer der „NO!art“-Bewegung

Eigentlich hätte er gern gemalt wie die französischen Impressionisten – Seerosen, Mohnblumen, Strohhüte. Doch nachdem Mutter, Großmutter und Schwester im KZ von den Nazis ermordet worden und er und der Vater nur knapp mit dem Leben davongekommen waren, sei ihm das nicht mehr möglich gewesen. Gleich zu Beginn erzählt Boris Lurie diese seine Geschichte, die dazu führte, dass er ein Hauptakteur der „NO!art“ wurde.

Die „NO!art“ kam Ende der Fünfzigerjahre in Amerika als Kunstbewegung auf, deren Ziel es war, den etablierten Markt systematisch zu unterwandern. Beharrlich verweigern sich die Künstler der „NO!art“ dem Kulturbetrieb. Ihre Werke, die sich an der Schnittstelle von individuellem Ausdruck und politischer Agitation aufstellen, sind subjektiv und aggressiv.

Boris Lurie, 1924 in Leningrad geboren und im lettischen Riga aufgewachsen, macht als einer der „NO!art“-Gründer eine Bilderserie, in der er Magazin-Fotos von Pin-up-Girls mit Aufnahmen von KZ-Häftlingen collagiert – zu grotesken Darstellungen pervertierter Lust und Gewalt. Da entblößt sich eine Frau vor einem Zugwaggon voller Leichen, da klebt Lurie einen Lolita-Kopf neben die Fotografie des Schädels eines toten KZ-Häftlings. Auf diese Serie bezieht sich der Dokumentarfilm „Shoah und Pin-ups“, den die Freiburgerin Reinhild Dettmer-Finke jetzt über Bo:ris Lurie gedreht hat. Vorsichtig nähert sich die Filmemacherin diesem eigenbrötlerischen Mann, zeigt ihn zunächst bei alltäglichen Verrichtungen, etwa im Taxi oder beim Lebensmittel-Einkaufen in New York, wo Boris Lurie seit seiner Emigration im Jahr 1946 lebt. Zumeist jedoch sieht man ihn in seinem chaotischen Atelier an der Lower Eastside, in dem sich überall auf dem Boden, an den Wänden und in den Regalen die Bilder stapeln. Dort verbringt er den Großteil seiner Zeit mit Malen und dem Schreiben von Gedichten. „Der taube Goya schreit in mein Ohr – flüstert: Es ist verboten, schön zu malen!“, heißt es in einem von ihnen.

Im Verlauf des Films erfährt man von Boris Luries bürgerlicher Jugend in Lettland, alte Schwarz-Weiß-Fotos zeigen ihn als melancholischen jungen Mann im Anzug. Lurie erzählt, wie er einige Zeit nach seiner Ankunft in New York von verdrängten Erinnerungen an die Zeit im Konzentrationslager überwältigt wurde und begann, diese künstlerisch zu verarbeiten. Den Anfang machten 1947 Bilder dekonstruierter Frauenkörper, die „Dismembered Women“.

Dass die „NO!art“ nie kommerziell erfolgreich wurde, ist gewissermaßen Teil ihres Programms und stört Boris Lurie nicht weiter – er verdient seinen Lebensunterhalt mittlerweile mit Börsen-Spekulationen. Dafür macht der Film deutlich, wie schade es ist, dass seine Bilder aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind. Denn Aufnahmen wie die aus Abu Ghraib, in denen dieselbe Gemengelage aus Sex und Gewalt wie die herrscht, mit der sich Lurie seit Jahrzehnten kritisch auseinandersetzt, zeigen: Seine Kunst ist auch heute noch notwendig. ANDREAS RESCH

„Shoah und Pin-ups: Der NO!-Artist Boris Lurie“. Regie: Reinhild Dettmer-Finke in Zusammenarbeit mit Matthias Reichelt. D 2006, 88 Min. Eiszeit-Kino

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