Auf dem Gipfel des Abstrusen

Christian Kracht und Ingo Niermann lasen im Festsaal Kreuzberg aus „Metan“, ihrem Pamphlet zur Klimaerwärmung

Christian Krachts und Ingo Niermanns neues Buch – irgendwo zwischen Skizzenblock, Pamphlet und SciFi-Wissenschaftsthriller – schreibt sich „Metan“, ohne „h“. Wie Metaphysik. Oder Meta-Ebene. Da passte es ganz gut, dass die beiden in ihrer ganz eigenen Blase auf dem Podium zu sitzen schienen, ohne viel Kontakt zum Publikum. Kracht, bubihaft in Anzugjacke, Streifenschal und seiner Seitenscheitel-hinten-hochrasiert-Frisur (Heinrich Harrer?), und Niermann, schluffimäßig mit hellem Sweatshirt und Schulspacken-Pony, lieferten einen grußlosen Kaltstart in den Text. Was die nonverbalen Signale der beiden Autoren wichtiger machte.

Tatsächlich war während der ersten Minuten ein mysteriöser Stoffwechsel zu bemerken: Niermann schlang sich umständlich einen dicken roten Schal mehrfach um den Hals, wenig später nahm Kracht seinen elegant ab. Distinktionsgründe? Es blieb ohnehin ein distinguierter Abend: Worte, unterdrückte Rülpser und viel Zigarettenrauch entwichen den Lesenden – aber keinerlei methanösen Äußerungen der unteren Körperhälfte. Die Lesung war das Gegenteil von Karneval.

Schade eigentlich, denn ihr Buch schlägt, jedenfalls an den guten Stellen, deutlich über alle Stränge. Auf 88 Seiten reißt es einen teils wissenschaftlich begründeten, teils absurden Over-the-top-Plot an: In dem strebt das äußerst klimawirksame Methangas nach der Weltherrschaft; die Klimasünder USA, China und die arabischen Staaten sind ihm dabei behilflich. Mehrere obskure Einzelpersonen – fanatische Buren, Berg- und Milizenführer – sind ebenfalls involviert. Die meisten von ihnen sind bereits „methanisiert“, bestehen also in bester Körperfressermanier nur noch aus einer menschlichen Hülle mit gasförmigem Inhalt.

Ebenso Teil der Verschwörung sind Busse voll pupsender Rentnerreisegruppen und Bergsteiger. Dass sich im Darm ab einer bestimmten Höhe starke Flatulenzen entwickeln, berichteten Niermann und Kracht aus eigener Erfahrung am Kilimandscharo. Dort werde ab 4.000 Meter nur noch Zwiebelsuppe oder Eintopf serviert. Zutaten: „Bohnen, Erbsen, Linsen, Zwiebeln, Paprika und Mais“. Und weiter: „Nachts werden die Schlafzelte zu Methlocs. Nun beginnt die Transformation. Durch stetes Einatmen des selbstproduzierten Methans wird das Körperinnere sukzessive durch das Gas ersetzt.“

Während sich Christian Kracht eine Zigarette nach der anderen ansteckte und der Vorrat an Mineralwasserfläschchen auf dem Podium (und ein Weißwein, zum Schorlen!) zudem eine starke Kohlensäurekonzentration befürchten ließ, galoppierten die beiden Autoren in einer Tour de Force durch ihr Buch. Genussvoll ließ sich Kracht die Sanskrit-Laute für „Atmen“ und „Urklang“ im Mund zergehen, bezog sie aufs Methan und „den Resonanzkörper der Kuh “ und strickte so an einer Art Antikosmologie. Mehr gibt der magere Plot aber auch nicht her.

Der Rest sind dadaistisch affirmative Behauptungen, die auch ohne jeden Plot funktionieren – zum Beispiel: „Der Japaner ist zäh, kräftig, genügsam und mit dem Willen zur Vernichtung versehen.“ Bei zu viel Klugscheißer-Faktenwissen, von Niermann und Kracht nachrichtensprecherartig glatt präsentiert, hing die Lesung kurzzeitig durch. Erst als die Autoren mit komischen geopolitischen Verschwörungstheorien auf die Kacke hauten, wachte das Publikum wieder auf: „Die südpazifische Hegemonialmacht Australien hat durch die sukzessive Besetzung der Salomon-Inseln und Osttimors eine mit Waffengewalt verordnete Pax Australis geschaffen. Langfristiges Ziel ist die Besetzung Indiens.“ Das Publikum bekam noch die Information, dass die erste Lieferung waffenfähigen Urans an Südafrika vom Schweizer Kernkraftwerk Kaiseraugust im Kanton Aargau geleistet worden sei, und wurde auf dem glücklichen Gipfel des Abstrusen entlassen. ULRIKE MEITZNER