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KONSUMGESCHICHTEN ZWISCHEN SKATEBOARD UND PISSGOALSurfin’ in the Supermarkt

VON HELMUT HÖGE

Die Amis haben die Konsumentenkultur durchgesetzt für nahezu alle und schlagen damit der „Degrowth“-Bewegung immer wieder ins Gesicht. Da hilft auch keine Nachhaltigkeit.

Jeder kennt zum Beispiel die grünen Plastiksiebe in den Pissbecken auf den Männertoiletten, die ein Fußballfeld mit Tor und Ball bilden. Den Ball gilt es beim Pinkeln mit dem Strahl ins Tor zu befördern. Gaststättenbedarfsläden bieten das „Urinal-Spiel“ unter den Bezeichnungen „Klokicker“ und „Pissgoal“ an. Es wurde Ende 1959 in Amerika erfunden, tauchte hier aber erst zur Fußball-WM 2006 massenhaft in den Urinalen auf. Die Einsätze kosten 5 bis 10 Euro. Ihre Anschaffung lohnt sich für die Wirte: Die männlichen Gäste pissen nicht mehr so oft daneben, sondern versuchen gewissermaßen ins Tor zu treffen.

Erfunden wurde dieses zielorientierte Lernspiel für Männer in einem kalifornischen Forschungsinstitut, in dem – noch vor Timothy Leary in Harvard – die Teilnehmer eines Experiments mittels LSD kreative Ideen entwickeln sollten. Bei einem der Beteiligten, der später die „Maus“ für den Personalcomputer erfand, war dabei zunächst nur dieses „Pinkel-Toy“, wie er es nannte, herausgekommen, zunächst als Eishockeyspiel.

Zur Erklärung der internationalen Studentenbewegung wird gemeinhin angeführt, dass die Beteiligten die erste Generation bildeten, die über genügend Taschengeld verfügte, um sich eine eigene „Kultur“ quasi leisten zu können. Sie forderte zunächst: „Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll“, dann immer mehr.

Zu Wasser, zu Land

Im Journal of Popular Culture fand ich die Geschichte des juvenilen Konsumguts „Skateboard“: In den Sechzigerjahren popularisierten die Beach Boys das „Surfin’ in the USA“. Bald wollten auch die Jugendlichen im Landesinneren surfen. Ein Chemiestudent in der Hochburg der amerikanischen Linken, Berkeley, der dort 1968 aus politischen Gründen relegiert wurde, erfand zu Hause ein Plastik, das weich ist, aber keinen Abrieb hat. Damit ließen sich Räder für Bretter herstellen, mit denen man auf der Straße surfen konnte. Schon bald waren die Einkaufszentren voll mit „Skateboardfahrern“, sodass dieses neue Spielzeug dort schnell verboten wurde. Das war die Stunde der „Skatepark“-Gründer: Sie pachteten Ödland und stellten halbierte Röhren oder anders Abschüssiges aus Beton auf.

Als diese Parks von immer mehr Skatern – gegen Eintritt – benutzt wurden und die Abschüssigkeiten immer gewagter wurden, wobei das alberne Spielzeug sich zu einem ernsthaften Sportgerät (mit Meisterschaften) wandelte, schaltete sich der Verband amerikanischer Mütter ein: Die Verletzungsrate ihrer skateboardenden Kinder stieg rasant. Sie forderten Sturzhelme für Skater, dazu Ellenbogen- und Knieschützer. Die bekamen sie bald – in allen Preislagen.

Aus dem neuen Weichplastik für die Räder war eine ganze Freizeitindustrie geworden, die sich geografisch und sozial ausbreitete. Viele Kommunen legten Parks an, um laut Wikipedia „Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Jugendliche und Junggebliebene zu schaffen, ohne dass diese mit ihren Sportgeräten Teile öffentlicher und privater Grundstücke beschädigen und dabei Fußgänger gefährden.“ Daneben gibt es Allwetter-„Skatehallen“, etwa „Children of the Revolution Skatehalle Berlin“, „Heizhaus“ (Leipzig) oder „Funbox Amalie“ (Essen). Nicht selten sind sie in stillgelegten Fabriken – und zeigen damit den Wandel von der Produktions- zur Konsumptionsgesellschaft an.

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