„Die Koalition hat Angst vor Neuwahlen“

Stepan Kurpil, ukrainischer Parlamentsabgeordneter und Mitglied der Oppositionspartei „Vaterland“ von Julia Timoschenko, über mögliche Auswege aus der aktuellen politischen Krise sowie die Strategie der Opposition

STEPAN KURPIL, 48, studierter Journalist, ist Parlamentsabgeordneter und Mitglied der Partei Vaterland von Julia Timoschenko. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Medien.

taz: Die Parlamentsmehrheit hat sich an das Verfassungsgericht gewandt mit der Bitte, den Erlass über die Auflösung des Parlaments zu prüfen. Ist mit einem schnellen Urteil des Verfassungsgerichts zu rechnen?

Stepan Kurpil: Das würde ich bezweifeln. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass das Verfassungsgericht seit acht Monaten kein einziges Urteil gefällt hat. Aber die Einschaltung des Verfassungsgerichts bedeutet nicht, dass der Erlass des Präsidenten ausgesetzt wird. Die zentrale Wahlkommission hat bestätigt, dass sie bereit ist, die Parlamentswahlen durchzuführen.

Die Opposition hat nach der Kundgebung am letzten Samstag beschlossen, ihre Anhänger nicht auf die Straßen zu rufen. Welche Strategie steckt dahinter?

Wir wollen jegliche Provokationen und Zusammenstöße mit Anhängern des anderen Lagers vermeiden. Es gibt auch keinen Bedarf. Die Opposition unterstützt den Erlass des Präsidenten und bereitet sich auf die Wahlen vor. In Kiew kann die regierende Koalition nicht mit großer Unterstützung in der Bevölkerung rechnen. Deswegen wird versucht, Anhänger in den Regionen zu mobilisieren. Doch auch viele Anhänger der Partei der Regionen sind verunsichert. Die Regierung hat ihnen „schon heute“ ein besseres Leben versprochen, davon spüren sie aber nichts. Die Aktionen werden ohne Unterstützung der Kiewer Einwohner nach einigen Tagen wieder abklingen.

Viele politische Beobachter sind der Meinung, dass ohne den guten Willen der Partei der Regionen Neuwahlen nicht möglich sind. Gestern hat sich das Parlament der Krim auf die Seite der Regierung gestellt. Die Konfrontation spitzt sich zu. In welcher Form ist ein Kompromiss noch möglich?

Bisher haben sich viele Politiker im Osten des Landes eher sehr vorsichtig geäußert. Gleichwohl ist es nicht auszuschließen, dass einige Regionalparlamente politische Erklärungen abgeben werden. Der Präsident wird aber den Erlass nicht mehr zurücknehmen. Dabei war ein Kompromiss vor dessen Unterzeichnung möglich. Juschtschenko hat bei den Konsultationen vorgeschlagen, das Gesetz über das imperative Mandat zu verabschieden sowie das Gesetz über das Ministerkabinett, das die Kompetenzen des Präsidenten beschneidet, zu novellieren. Aber die Koalition hat alle Vorschläge abgeschmettert. Sie hat nicht geglaubt, dass Juschtschenko das Parlament auflöst.

Die Koalition droht mit gleichzeitigen Präsidentschaftswahlen. Halten Sie das für möglich?

Nein. Gleichzeitig können die Wahlen sowieso nicht stattfinden, weil das Gesetz unterschiedliche Fristen für den Wahlkampf vorsieht. Das, was heute die Koalition macht, erinnert mich eher an den Putsch im August 1991. Die Koalition hat Angst vor Neuwahlen – sie wird ihren Wählern Rede und Antwort stehen müssen. Neuwahlen sind aber ein legitimes Instrument in einer politischen Krise.

Gibt es wieder eine Einheit in den Reihen der Opposition?

Die Opposition koordiniert heute wieder ihre Handlungen. So wird es auch im Wahlkampf bleiben. Wir haben beschlossen, mit zwei großen Wahlblöcken anzutreten. Wie Umfragen zeigen, kann man in dieser Konstellation mehr Stimmen bekommen. „Nascha Ukraina“ wird eine gemeinsame Liste mit der Nationalen Selbstverteidigung von Exinnenminister Juri Luzenko bilden, das Wahlbündnis Timoschenko wird mit kleineren Partnern als eigenständiger Wahlblock antreten. Wir werden uns aber nicht gegenseitig bekämpfen, wie dies bei den letzten Parlamentswahlen der Fall war.

INTERVIEW: JURI DURKOT