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Schuften im Glühwürmchenlicht

HAUSBESUCH Zwei Häuser, eine Mühle, Ställe und Land – Veit und Cordula Hofrichter besitzen ein ganzes Dorf

VON LENA MÜSSIGMANN (TEXT) UND BORIS SCHMALENBERGER (FOTOS)

Burghardsmühle bei Neuler im Ostalbkreis. Zu Besuch bei Familie Hofrichter – das sind Cordula (45), Veit (43), Valentin (14) und Johannes (11).

Draußen: Die Straßen, die über die Ostalb führen, werden schmaler; der Wald lichtet sich. Mitten in grünen Talwiesen steht das Ortsschild: Burghardsmühle. Das ganze Dorf gehört den Hofrichters. Zwei Häuser, Ställe, fünfeinhalb Hektar Land. Dazu: „5 Rinder, 7 Kühe, 2 Kälber, 2 Katzen, Karpfen, Fliegen“, zählen sie auf, „und ein Reh, das immer wieder am Waldrand auftaucht.

Drin: Die alte Mühle ist grau und unscheinbar. Als Veit und Cordula sie vor sechs Jahren kauften, war sie einsturzgefährdet. Im Untergeschoss sind inzwischen drei Zimmer renoviert. Das Wohnzimmer liegt einen Stock höher, im alten Tanzsaal der Mühlenwirtschaft. Es ist riesig. An der Wand stehen ein Klavier und ein Bollerofen, mitten im Raum alte Möbel von Veit und Cordula. Mit etwas Fantasie vermeint man die Tanzmusik von damals zu hören, als die Leute aus der Gegend hier Faschingsbälle feierten. Das übrige Gebäude ist Baustelle. Mächtige Stützbalken sind freigelegt, durch Löcher in den Etagendecken kann man in den Keller und den Dachstuhl schauen, in den Ecken hängen Spinnweben. Im Garten hat das Paar einen Ausschank gebaut, um im Sommer Gäste zu bewirten.

Wer macht was? „Als wir herkamen, haben wir gefragt: Wovon können wir leben?“, erzählt Cordula. Inzwischen betreiben sie die Gartenwirtschaft, verkaufen auf dem Markt Biokäse und Biofleisch aus der Produktion ihrer Freunde, bewirtschaften 15 Hektar Land und haben mit der Mutterkuhhaltung angefangen. Nächster Schritt soll der Aufbau einer eigenen Molkerei sein. Noch arbeitet Veit mit einer halben Stelle als Zimmermann. Lebensprojekt ist das Haus. „Veit macht halt alles mit Liebe, das dauert dann eben ein bisschen länger“, sagt Cordula. „Das Coole ist: Wir haben beide zu dem Ding hier voll Ja gesagt. Man muss einfach ausblenden, dass man wahrscheinlich nie fertig wird.“

Wer denkt was? Seit mehr als 700 Jahren gibt es die Burghardsmühle. Veit findet es kulturhistorisch wichtig, sie wieder in einen guten Zustand zu bringen. Ihm gefällt die Vorstellung, sich in der Reihe der Mühlenbesitzer zu sehen. Sein Traum wäre es, das Mühlrad wieder zu installieren, den Mühlkanal wieder zu öffnen und Wasserkraft zu nutzen. „Im gnadenlosen Atomenergieschwachsinnsboom hat man hier den Kanal einfach zugemacht“, sagt er. Über das Hausprojekt und die Vision für ihren Hof denken Veit und Cordula viel gemeinsam nach. „Bei anderen Paaren ist das Nestgebaue irgendwann fertig, jeder hat seinen Job, was redet man da? Wir haben wahnsinnig viel Gesprächsstoff“, sagt Cordula. Eine Angst, die sie begleitet: „Dass das Geld nicht reicht.“ Sie hat viel Energie darauf verwendet, auf der Ostalb einen Freundeskreis für ihre Familie aufzubauen. „Es ist total ungewöhnlich, dass hier jemand herkommt, dessen Eltern nicht hier geboren sind.“ Die Leute seien interessiert und hätten sie inzwischen anerkannt.

Veit: Er ist in Stuttgart aufgewachsen. Nach dem Abitur hat er eine Zimmererlehre gemacht und später allgemeine Agrarwissenschaften in Stuttgart-Hohenheim studiert. „Die Burghardsmühle ist das, was ich mir mal erträumt habe.“

Cordula: Mit ihren Eltern („Bildungsbürgertum“) in Heidelberg aufgewachsen. Sie wehrt sich gegen ein Studium, macht eine Ausbildung zur Erzieherin und lernt später Landwirtin („Ich musste mich erden“).

Die Kinder: Johannes geht im acht Kilometer entfernten Abtsgmünd aufs Gymnasium. Der reformpädagogische Ansatz der Schule sei das Richtige für ihn, sagt Cordula. „Er ist ein Individualist, sehr schlau, aber sozial nicht so begabt. Und zurzeit ein Pubertier.“ Der Jüngere, Valentin, tue sich schwer mit Staatsschulen. Deshalb fährt er eine Stunde Bus bis zur Waldorfschule in Aalen. Cordula: „Dass wir für jedes unserer Kinder die richtige Schule gefunden haben, ist ein tolles Geschenk.“

Das erste Date: Cordula war 19 als sie Veit (damals 17) auf der Jugendfarm Möhringen kennenlernte, wo beide ehrenamtlich geholfen haben. „Er hat mir viel über Maschinen beigebracht. Wir haben uns nicht gedatet, wir haben nur schüchtern Händchen gehalten.“ Doch Cordula ging nach Berlin, hatte dort einen Freund. Veit suchte trotzdem Kontakt. „Ich war von Anfang an verliebt“, sagt er. Als Cordulas Beziehung in die Brüche ging, war er da. „Er hat mich in einer grässlichen Krise ans Patschehändchen genommen.“

Die Hochzeit: Der erste Versuch, mit einem gepachteten Hof war schiefgegangen („ein totaler Griff ins Klo“). Sie hatten sich mit dem Bauern zerstritten („Als Bauer ist man Dickschädel, mein Mann vor allem“), und verließen fluchtartig den Hof, gerichtlicher Auseinandersetzungen folgten. „Wir waren an einem Tiefpunkt angekommen“, erinnert sich Cordula. „Und da haben wir gesagt: Jetzt heiraten wir. Es war eine erbärmliche Hochzeit.“ – „Erbärmlich war’s nicht“, sagt Veit. Cordula trug einen Knitterrock, den sie tags zuvor noch schnell gekauft haben, und einen Strauß aus Restblumen des Gärtners, damit er möglichst wenig kostete. Wann die Hochzeit war? „16. Dezember 2006“, sagt Veit. „Oder 2007?“ – „War es nicht der 17. Dezember?“ – „Schreib 16. Dezember 2007!“

Der Alltag: Der Schulrhythmus der Kinder bestimmt den Alltag. Morgens zwischen 7 und 8 Uhr bringt Cordula in ihrem „Familientaxi“, die Jungs zur Bushaltestelle und Veit zur Arbeit. Sie selbst ist mittwochs und samstags mit ihrem Marktstand für Käse, Wurst und Fleisch auf dem Wochenmarkt. Cordulas Highlights in der Woche: Chorprobe der evangelischen Kantorei und Probe ihrer Folkband (Akkordeon, Gitarre, Flöte). „Ich lass dann total los, es geht nur noch drum, tollen Klang zu machen.“ Ihre Tage fühlten sich oft zu kurz an, sagt sie. „So was wie Staubwischen ist mir egal.“

Wie findet ihr Merkel? Veit sagt: „Mir fehlt bei ihr eine Vision, wie alles in 20 Jahren aussehen soll. In der Politik sollte man nicht nur rumwurschteln wie wir hier.“ Cordula wünscht sich mutigere Äußerungen zur Flüchtlings- und Energiepolitik, bewundert aber, wie Merkel „mit freundlicher Gleichgültigkeit dem Sexismus in der Politik begegnet und trotzdem weiblich bleibt“.

Wann seid ihr glücklich? Veit: „Wenn ich meinen Kühen nachts um zwölfe mit der Sackkarre noch eine Leckwanne auf die Weide fahre und im Wald alles voller Glühwürmchen ist.“ Und Cordula: „Ich bin viel in Gedanken, und bin glücklich, wenn was davon im Herzen ankommt. Zum Beispiel spüre ich Glück, wenn ein Kalb geboren wird und gedeiht.“

Nächstes Mal treffen wir Sabrina Kluwe, die ewige Prenzlauer-Berg-Bewohnerin in Berlin. Sie möchten auch einmal besucht werden? Schreiben Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de

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