Wer gerne schreinert, muss auch rechnen können

Eine freie Jugendhilfe-Einrichtung am Rande der Schwäbischen Alb betreut seit 13 Jahren Heranwachsende zwischen 14 und 19 Jahren, die im normalen Schulbetrieb gescheitert sind. Die „Ziegelhütte“ führt die Jugendlichen in zwei Jahren zum Haupt- oder Förderabschluss

SYLVIA EINHÄUSER, 54, ist Lehrerin und Sprecherin der „Ziegelhütte“. Das ist eine Jugendhilfe-Einrichtung in Baden-Württemberg, die mit Waldorfpädagogik arbeitet. Mehr Informationen unter www.mh-zh.de und telefonisch unter (0 70 23) 7 46 70.

taz: Frau Einhäuser, Sie betreuen und schulen Jugendliche, die woanders keine Chance mehr haben. Wie finden Sie Zugang zu ihnen?

Sylvia Einhäuser: Unsere Landwirtschaft und die Werkstätten sind die Türöffner, da gibt es keine Hemmschwellen: Heu-, Holz- oder Herdarbeit macht unseren derzeit 27 Jugendlichen einfach Spaß – oft werden sie erst später langsam an den Unterricht herangeführt, beginnend mit zwei Schulstunden täglich. Der Nutzen ergibt sich dann aus der Praxis: Wer schreinert, muss auch rechnen können.

Aber handwerkliche Arbeiten alleine führen nicht zu besseren Schulleistungen.

Zentrales Element muss eine enge persönliche Betreuung sein: Jeden Morgen findet eine Übergabe zwischen Heimbetreuern und Lehrern statt: So sind alle Mitarbeiter über alle Schüler informiert. Und zweimal im Jahr spiegeln wir den Jugendlichen in „Wasserstandsgesprächen“, wo sie stehen – sowohl schulisch als auch sozial. Wer im Klassenverband überfordert ist, erhält Einzelförderung.

Welches Fazit ziehen Sie?

Es gibt einzelne große Erfolge – wie den Schüler, der den Abschluss in nur einem Jahr geschafft hat und jetzt im Wirtschaftsgymnasium weiterlernt. Insgesamt aber werden die Jugendlichen schwieriger, scheitern eher am Lernstoff. Wir haben inzwischen mehr Förderschüler als in den Vorjahren und versuchen, dem mit noch mehr Erlebnispädagogik zu begegnen, etwa durch Epochen-Unterricht im Wald.

Mit Naturerlebnissen sollen ihre Schüler einen neuen Bezug zur Realität erfahren. Was passiert mit ihren mitgebrachten Erfahrungen, mit ihrem Drogen- oder Gewalthintergrund?

Wenn die Jugendlichen durch Höhlen kriechen oder an Hochseilen hängen, macht das nicht nur Spaß, sondern stärkt auch ihr Selbstbewusstsein. Aber wir blenden ihre Lebensgeschichte nicht aus, sondern arbeiten das gemeinsam auf. Ich habe etwa kürzlich einen Epochen-Unterricht zu den Folgen von Drogenkonsum gegeben.

Anthroposophische Lehrmethoden in der Jugendhilfe sind hierzulande noch die Ausnahme. Werden sie wichtiger?

Das wächst – auch, weil die Zahl der Jugendlichen, die wirklich individuell betreut werden müssen, immer größer wird. Für viele Lehrer sind die Waldorfstrategien deshalb die letzte Chance, um solche Jugendlichen überhaupt für den Schulalltag zu motivieren.

Wächst auch das Interesse staatlicher Schulen und öffentlicher Jugendhilfeträger an Ihrer Arbeit?

Die Jugendämter kennen uns gut – die schicken uns ja die Jugendlichen. Auch die staatlichen Schulen der Umgebung zeigen großes Interesse an unseren Methoden. Mit ihnen entstehen derzeit neue Kooperationen, etwa mit einem Schulsozialverein – oder beim Aufbau unserer neuen, externen Beratungsstelle.

INTERVIEW: CHRISTOPH RASCH