„Ich bin hochzufrieden!“

Nach 14 Jahren im Amt tritt Peter Voß Ende des Monats als SWR-Intendant ab. Ein Gespräch über die Verjüngung der dritten Programme, das „Islamische Wort“ und Zweitwohnungen in Berlin

PETER VOSS, Jahrgang 1941, leitete ab 1993 den Südwestfunk, seit 1998 den fusionierten SWR. Nachfolger ist Verwaltungsdirektor Peter Bougoust.

INTERVIEW DANIEL BOUHS
UND PEER SCHADER

taz: Herr Voß, Sie gehen ein Jahr vor dem Ende Ihrer Amtszeit. Haben Sie keine Lust mehr?

Peter Voß: Doch, ich habe nur das Gefühl, dass ich das, was ich bewirken konnte, auch erreicht habe. Wir stehen jetzt vor einer neuen Gefechtslage, bedingt durch die Digitalisierung der Verbreitungswege. Zugleich müssen wir weiter mit Gegenwind aus Brüssel rechnen, und es kommt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Gebührenregelung. Die Medienwelt wird sich stark verändern, und mitten im Strom sollte man nicht das Zugpferd wechseln. Mein Nachfolger Peter Boudgoust kann sich nun in aller Ruhe in die neuen Aufgaben einarbeiten.

Die Entscheidung war also weniger persönlicher Natur?

Das war sie auch. Es gibt ja ein Leben vor dem Tode. Und wenn man noch einmal etwas anderes tun möchte, bringt es nichts, noch ein paar Jährchen dranzuhängen. Wer weiß, wie frisch ich mit 70 oder 80 noch bin. Jetzt fühle ich mich fit und ausgeruht.

Sie haben sich selten so oft in Diskussionen eingemischt und Klartext geredet wie zuletzt in Sachen Jauch-Personalie oder „Islamisches Wort“ …

Ich habe mich schon früher eingemischt, vor allem in meinen eigenen Angelegenheiten als Intendant. Was das „Islamische Wort“ angeht: Wir haben uns lange vor der Frage herumgedrückt, ob es Sinn hat, Moslems stärker in die Medien einzubeziehen. Nach einer Islam-Themenwoche des SWR im Oktober 2006 habe ich mich entschlossen, eine regelmäßige Sendung auszuprobieren. Gegenwind gab es erst, als das ZDF ein ähnliches Projekt ankündigte – da habe ich die Idee natürlich verteidigt.

Ist es nicht erstaunlich, dass dieses eine Format solche Diskussionen hervorbringt?

Das zeigt, wie verunsichert unsere Gesellschaft im Umgang mit dem Islam ist. Wir brauchen aber von niemandem eine Erlaubnis, so etwas zu machen. Es geht um eine redaktionell betreute Sendung, die vom SWR verantwortet wird. Dem Publikum mag das schwer zu vermitteln sein, da ist viel Angst im Spiel. Und es gibt Briefe, bei denen purer Hass zutage tritt – dass ich „wahnsinnig“ genannt werde, ist noch eine der höflicheren Formulierungen.

Sie haben in Ihrer letzten Rundfunkrat-Sitzung gesagt, der SWR sei gut aufgestellt. Programme für jüngere Zuschauer gibt es aber kaum.

Moment mal: Wir haben mit „DASDING“ als erster Sender ein eigenes Jugendradio gemacht. Die Idee für den Kinderkanal ist im SWR entwickelt worden, bevor sie an den MDR und das ZDF weitergereicht wurde. Doch einen Frontalangriff auf die wichtigste Zielgruppe der Kommerziellen im Fernsehen werden wir gegen die Politik nicht durchsetzen können.

Aber es geht doch nicht um Unterhaltung – warum gibt es im SWR kein junges, politisches Magazin?

Ich glaube, das wird im normalen Programm nicht funktionieren. Viele junge Zuschauer setzen sich nicht mehr eine Dreiviertelstunde vor den Fernseher und sehen sich eine Sendung am Stück an. Die meisten Stoffe sind aber nicht in zehn Minuten abzuhandeln. Es gibt kein Patentrezept, wie man die Jugend kriegt. Vielleicht interessiert sie ein lineares Programm langfristig gar nicht mehr. Wir brauchen deshalb ein spezifisches, digitales Angebot für Jugendliche – eine Aufgabe für meinen Nachfolger.

Das hört sich so an, als hätten Sie die jungen Zuschauer für die Dritten verloren gegeben.

Nein. Das Problem ist aber: Wenn wir eine Stunde Programm für junge Zuschauer machen, schalten die Älteren weg und die Jungen nicht ein, weil die selten abends zu Hause darauf warten, dass um neun oder zehn Uhr eine Sendung für sie läuft.

Die beiden anderen großen Sender, WDR und NDR, werden im Ersten viel stärker wahrgenommen als der SWR. Woher kommt das?

Das ist nicht richtig: Erfolgreiche Fernsehfilme wie „Nicht alle waren Mörder“, „Stauffenberg“, „Margarethe Steiff“ und Erlebnisformate wie „Schwarzwaldhaus 1902“ hat der SWR eingebracht. Wir sind in der ARD auch personell gut dabei – mit dem Chefredakteur von ARD aktuell, Kai Gniffke, und dem künftigen Vizechef des Hauptstadtstudios, Rainald Becker.

Aber Ihnen fehlt doch ein „Leuchtturmprogramm“ wie „Christiansen“ und im Dritten ein Mann wie Frank Plasberg.

Plasberg ist ein Glücksfall, deshalb gehört er auch am Hauptabend ins Erste. Und unser Talk „Quergefragt“ hat sich gut entwickelt. Unser Drittes hatte vor wenigen Jahren noch gar keine politische Talkshow!

„Quergefragt“ wird außerhalb des Sendegebiets kaum wahrgenommen.

Wir sind im Norden und im Osten nicht im Kabel vertreten, das schränkt die Wahrnehmung ein. Mit der Bedeutung, die unser Haus in der ARD gewonnen hat, bin ich dennoch hochzufrieden. Als ich 1993 vom ZDF zum damaligen SWF kam, wurde gerade der Satellitenkanal Eins plus in Baden-Baden eingestellt, „Report“ war abgeschafft, wir hatten das Hörfunkstudio Rom verloren. Seitdem hat sich einiges getan. Wir konnten aber nicht einfach eine Informationssendung an uns reißen. Dafür steuern wir täglich das „ARD-Buffet“ bei. Wir haben die zentrale Onlinekompetenz ins Haus geholt und die Beteiligung an 3sat durchgesetzt. Und wenn in der ARD ein Feuer zu löschen ist, wird oft der SWR gefragt – wie bei der Schleichwerbeaffäre, die unser Justiziar gemeinsam mit seiner WDR-Kollegin aufgearbeitet hat.

Was die ARD angeht: Manchmal hat man den Eindruck, die Intendanten seien vor allem mit der Verwaltung der eigenen Kompetenzen beschäftigt.

Die Entscheidungsfindung in der ARD ist nie einfach – da sind neun selbstständige Sender mit unterschiedlichen Interessen am Werk. Es ist doch in Ordnung, dass wir uns auch mal streiten und uns Mühe geben mit unseren Entscheidungen. Medienpolitisch sind wir sehr präsent, das ZDF segelt da manchmal im Windschatten mit.

Einerseits wird vom digitalen Wandel geredet, der sich rasend schnell vollziehe, und andererseits lässt sich die ARD Monate mit wichtigen Entscheidungen Zeit – wie reformbedürftig ist dieses System?

Überhaupt nicht! Bisher haben wir immer rechtzeitig angefangen, uns mit wichtigen Trends zu befassen. Schwierig ist eher die Aufarbeitung von Problemen aus der Vergangenheit: Die Schleichwerbung bei der Bavaria hat uns kalt erwischt, der Fall Boßdorf war schwierig. Unsere Akzeptanz beeinträchtigt das aber nicht.

Wie geht’s bei Ihnen ohne Intendantenpflichten weiter?

Ich möchte wieder mehr schreiben, vielleicht auch für Zeitungen, jedenfalls gibt es Möglichkeiten dafür. Ich muss mich als Schreiber aber erst wieder ausprobieren. Meine Frau möchte einige Reisen mit mir nachholen, im Mai geht es erst mal nach Sizilien. Und bis Ende September mache ich ja noch den „Presseclub“, die Interviewreihe „Bühler Begegnungen“ in 3sat auf jeden Fall bis Ende des Jahres. Vielleicht nehmen wir uns eine Zweitwohnung in Berlin – es gibt viele Möglichkeiten, die neue Freiheit zu nutzen.

Ein eigenes TV-Porträt schenken Ihnen Ihre Mitarbeiter zum Abschied aber nicht?

Es soll wohl ein Porträt im Dritten geben, wenn auch nicht mit so schönen Bildern wie bei Fritz Pleitgen, der für seine vielen Reportagen in aller Welt unterwegs war – und ein Porträt, in dem ich bloß im Tagungssaal rumsitze, ist vielleicht nicht so attraktiv. Dafür gibt mein Nachfolger ein Buch über mich heraus.