Lebenslang gezeichnet

Kinder niederländischer Kollaborateure erlitten nach 1945 einen kaum zu überwindenden Vertrauensverlust. Eine Ausstellung in Münster beleuchtet jetzt die Zeit von 1931 bis heute

Viele wissen nicht, dass sie Kinder von Kollaborateuren sind, weil ihre Eltern es ihnen nie gesagt haben

VON THOMAS KRÄMER

Am 5. September 1944 befanden sich die deutschen Besatzer, die das Königreich der Niederlande im Mai 1940 überfallen hatten, auf dem Rückzug gen Osten. Gerüchte besagten, die alliierten Befreier stünden bereits vor der Stadt Breda. Diese Nachricht löste an diesem „verrückten Dienstag“ Angst aus. Angst vor Abrechnung und persönlicher Vergeltung bei denjenigen, die von der Mehrheit der Niederländer als „fout“ (falsch) tituliert wurde. Gemeint waren damit Kollaborateure, Landsleute, die im Zweiten Weltkrieg mit der Besatzungsmacht zusammen arbeiteten.

Allein 65.000 Frauen und Kinder sorgten an diesem Tag für überfüllte Bahnhöfe östlich des Frontverlaufs. Das Warten auf die Abfahrt des Zuges wurde zur Geduldsprobe. Obendrein wurden die voll besetzten Züge nach Deutschland bombardiert. Die Kinder der fliehenden Kollaborateure erfuhren damals hautnah und oft zum ersten Mal, was Chaos, Krieg und existenzielle Bedrohung bedeuten. Und sie mußten miterleben, wie ohnmächtig sogar die eigenen Eltern, dem Schrecken gegenüber sein konnten. Diese Kinder erlitten einen schweren Vertrauensverlust, den viele zeitlebens nicht überwunden haben.

Eine Wanderausstellung in niederländischer und in deutscher Sprache widmet sich jetzt dieser Problematik. Unter dem Titel „Gezeichnet geboren – Die Kinder niederländischer Kollaborateure“ ist sie noch bis Ende April im Zunftsaal des Hauses der Niederlande in Münster zu sehen. Der Rundgang mit Stellwänden, einigen Exponaten und einer kurzen Videovorführung wurde von dem Museum Markt 12 im niederländischen Aalten für die Zeit von 1930 bis zur Gegenwart konzipiert und zuerst der Öffentlichkeit vorgestellt. Münster ist die erste deutsche Station. Vor allem in grenznahen Orten beider Länder sollen weitere folgen.

Die Leiden der Kinder waren trotz geglückter Flucht damals in den seltensten Fällen vorbei. Im Gegenteil. In der Nachkriegszeit fanden sie sich in einer feindlichen Welt wieder. Die Eltern oft für längere Zeit in einem Gefangenenlager interniert, mussten sie zunächst auf sich allein gestellt eine harte Zeit im Heim überstehen. Dort waren sie nicht selten Misshandlungen ausgesetzt, später in der Schule Schikanen von Lehrern und Mitschülern. Bis in die 1950er Jahre hinein blieben sie isoliert und vom öffentlichen Leben weitestgehend ausgeschlossen.

Obwohl Hitlers Truppen die Niederlande in einem „Blitzkrieg“ überrollt hatten, die Niederländer eigentlich Opfer waren und sich auch so fühlten: Es gab und gibt Ähnlichkeiten zwischen Tätern und Opfern in der Geschichte wie im Umgang mit der Vergangenheit nach dem Krieg. Das macht die Ausstellung deutlich: Etwa das Erstarken des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren. In den Niederlanden war dieses Phänomen ebenfalls einer Wirtschaftskrise geschuldet, die besonders Arbeiter, Bauern und den Mittelstand erfasste und zu einer hohen Arbeitslosigkeit führte. Die große Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung machte sich die Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) von Parteiführer Anton Mussert zunutze.

Wie viele Kinder sind derart gebrandmarkt? Da fehlen offizielle Daten. „Viele Betroffene bekennen sich aus Scham bis heute nicht zu ihrem Schicksal, und viele wissen überhaupt gar nicht, dass sie Kinder von Kollaborateuren sind, weil ihre Eltern es ihnen nie gesagt haben“, sagt Loek Geeraedts, Geschäftsführer am Zentrum für Niederlande-Studien der Universität Münster. Vor allem dann, wenn sie aus einer Beziehung mit einem deutschen Soldaten hervorgingen, verschwiegen die Mütter, von ihren Landsleuten als „moffenhoer“ („Deutschliebchen“) geschmäht, den Kindern die Herkunft des Vaters. Oft erhielten sie einen anderen Nachnamen als den des Erzeugers, den sie meist auch nie kennenlernten. Aber selbst wenn: Kann man stolz sein auf einen solchen Vater?

Ähnlich wie die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in Deutschland ließ die öffentliche Aufarbeitung der Probleme der „kinderen van ,foute‘ ouders“ in den Niederlanden lange auf sich warten. Erst 1981 entstand die „Werkgroep Herkenning“ für Kinder von Kollaborateuren und deren Angehörige. Sie wurde von einem Psychiater, einem Journalisten und einem Pastor gegründet. Seitdem haben sich 5.000 Menschen bei der Kontaktgruppe gemeldet. Der Ausstellung in Münster sind mehr Besucher als bisher zu wünschen. Ihr gelingt es, ein Problem aus der jüngeren Geschichte unseres Nachbarlandes auch deutschen Besuchern bewusst zu machen.

Bis 28. April 2007 Infos: 0251-8328513