: Mit dem Mietmann ins Theater
Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen. Rendezvous mit schicken Juristen gehören nicht dazu. Unsere Autorin hat einen Hamburger Begleitservice für Frauen ausprobiert, der Verabredungen für kulturelle Veranstaltungen vermittelt. Am Ende bleibt der Beigeschmack eines missglückten Dates
VON JESSICA RICCÒ
Es ist eine Schande: Ich bin 22, echt nett und darf Männer jetzt schon dafür bezahlen, dass sie mit mir ins Theater gehen. 45 Tacken die Stunde. Aber keine Bange, heute ist es nur ein Test. „Compagna“, „Gefährtin“ heißt ein – wohlgemerkt: kultureller – Begleitservice für Frauen. Dahinter verbergen sich Geschäftsführerin Silke Carstensen und eine Mappe mit etwa 40 Hamburger Männern zwischen 28 und 63, die für Theater-, Konzert- oder Partybesuche gemietet werden können.
Ich bin gespannt, wen Frau Carstensen für mich ausgewählt hat. Um sieben sind wir verabredet und tatsächlich wartet vor dem Theater ein junger, so gar nicht gut aussehender Mann mit Brille. Mist. „’tschuldigung, sind wir verabredet?“, frage ich nach einigem Zögern. Er mustert mich als stünde ich hinter einem Herbertstraßenschaufenster. „Nee, glaub nicht.“ Schwein gehabt. Ob mein Mietmann den ersten Moment der Fleischbeschau auch so hasst?
Im selben Moment springt er auch schon aus dem Theater. „Hallo, bist du Frau Riccò?“ Ja. Und du bist auf den ersten Eindruck eine gute Wahl, danke Frau Carstensen. Henning ist 31, Rechtsreferendar und weiß Bescheid, dass ihn heute eine von der Presse bucht. Wir sind zu einer Theaterpremiere verabredet, deren Name ein bisschen Programm ist: Arthur Schnitzlers „Komödie der Verführung“.
Das Stück handelt von drei Frauen, die kurz vor dem ersten Weltkrieg um die Wahrung ihres guten Rufs ringen. Heute ist es offenbar ein solcher Gesichtsverlust, Single zu sein, dass einsame Herzen sich nur mit Mietmann blicken lassen möchten. Henning wurde erst einmal als Alibifreund gemietet. Zu einer Hochzeit. „Sollte nicht gerade die eigene Familie den wahren Stand des Liebeslebens respektieren?“ „Nicht immer,“ sagt Henning. Um lästige Fragen zu umgehen, werde auch mal gemogelt.
Bei einem Wein beweist Henning seine Übung für gehobenen Smalltalk, erzählt von den Vorurteilen gegenüber seinem Nebenjob: Frauen, die ihn buchen, seien eben nicht die einsamen Schrapnellen, die niemanden abkriegen. „Solche Frauen trauen sich vermutlich auch weniger, überhaupt bei einer Agentur wie Compagna anzurufen,“ vermutet Henning. Eher seien es erfolgreiche Geschäftsfrauen, die kein Händchen mit Rendezvous haben und einen Abend lang die Kontrolle über die Verabredung haben möchten. Ein ganz normaler Dienstleistungsberuf also? „Nein, das auch nicht.“ Trotz aller Fortschrittlichkeit sei es immer noch komisch, sämtliche Getränke und Eintrittskarten als Mann bezahlt zu kriegen.
Kaum hat Henning mich an unser Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis erinnert, vergesse ich es. Während der Pause verschwinde ich für kleine Mädchen, Henning finde ich an der Bar, wartend. Wahrscheinlich hätte ich ihm ein paar Euro für ein Getränk in die Hand drücken sollen, aber der zweite Akt drängt und es bleibt keine Zeit mehr. Apropos Akt: Wie weit geht so ein Begleitservice eigentlich? „Die Grenzen sind klar“, erklärt Henning. Entgegen aller Klischees wird nur wie abgesprochen ins Theater oder ähnliches begleitet. Nicht ins Bett. Ehrlich. Schließlich habe er ja auch eine Freundin. „Sie weiß, dass es ein seriöser Begleitservice zu kulturellen Veranstaltungen ist – wenn ich mit Freunden einen über den Durst trinke, wird sie eher eifersüchtig.“
Ganz behaglich scheinen Henning die Fragen nach seinem Privatleben aber auch nicht zu sein – verständlich, spielt er doch in der Regel eher den Zuhörer bei Buchungen. Ein wenig kriege ich aber auch den Eindruck, Henning sei auf Verschwiegenheit geimpft. Bei einem ans Theater anschließenden Wein driften seine Antworten auf meine Fragen in immer albernere Flirtspielereien ab. Aus meiner Handschrift, die dem Kardiogramm eines kürzlich Verstorbenen gleicht, kann Henning Gefühlskälte deuten und die Art, wie ich eine Sonne male, weist auf ein gestörtes Verhältnis zu meiner Mutter hin. (Die Sonne HAT einfach kein Gesicht, Mann!) Das ist alles schön und gut, aber so kommen wir nicht weiter und Laienpsychologie finde ich eh scheiße. Als Henning mich zur Bahn bringt, hat es den Beigeschmack eines missglückten Dates: Wir wissen, dass wir uns nicht wiedersehen, aber wir tun so, als würden wir. Letztendlich waren wir ja doch beide nur für’s Geld hier.
Ich halte es nicht für total falsch, dass es Begleitservices gibt. Gibt es ja schon lange für Männer. Gibt ja auch genug seriöse. Nur: Kaum fangen Frauen an, eigenes Geld zu verdienen, geben sie es für denselben Schmu aus. Dinge, die man nicht kaufen kann.
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