Rüttgers‘ Elternschule
: Staatlicher Stubenarrest

Rüttgers neuer Erziehungsvorschlag ist eine ideologische Brandbombe. Er macht Eltern für die Vergehen ihrer Kinder verantwortlich und will sie zu Kursen verpflichten. Genauso gut müsste Rüttgers Erziehungsstunden belegen, weil seine BürgerInnen delinquent sind. Beides ist sinnlos – und gefährlich. Der Einfluss der Erziehung gilt zwar gerade unter fortschrittlichen PädagogInnen gemeinhin als groß, die erblichen Anlagen als wenig relevant. Nur ist für die Entwicklung eben nicht nur das klassische Vater-Mutter-Paar verantwortlich, sondern auch FreundInnen, die erste Liebe, der Fußballclub, die Mathelehrerin.

KOMMENTAR VON ANNIKA JOERES

Doch selbst wenn die entscheidende Quelle des auffälligen Jugendlichen zu finden wäre – wer entscheidet darüber, was auffällig ist? Die Christdemokraten mögen dies bei einem Kiffer fest stellen, die Liberalen bei einem stehlenden Kind, die Grünen bei einem schlagenden, die SPD bei Rechtsradikalen – oder umgekehrt. Der richtige Erziehungsstil würde nach Rüttgers‘ Vorschlag zu einem Politikum. Jede Wahl könnte neu darüber entscheiden, welcher Stil zu ahnden ist. Der Staat mischt sich in private Überzeugungen von Menschen ein. Hätte er dies in den vergangenen Jahrzehnten so vehement getan, wie der Ministerpräsident es nun fordert, wäre die Erziehung auf dem autoritären Niveau der 1950er Jahre verharrt. Die Liste der jugendlichen Straftäter wäre nicht kürzer. Sie sinkt sowieso seit Jahren – auch ohne staatlichen Stubenarrest.