MOSCOW MULE IM RATZEPUTZ, GRAPHIC NOVEL DAY BEIM LITERATURFESTIVAL
: Seth Cohen blieb in beiden Fällen erfolglos

VON NADJA NEQQACHE

Rrrrring, rrrrrring, rrrrrring. Als ob ohrenbetäubende Los!-Geh-zur-Arbeit-Weckrufe nicht schon an Wochentagen schlimm genug sind, trifft es jetzt also auch noch den Sonntag. Angeekelt liege ich im Bett, beschließe, meine Augen auf dem Weg zur Dusche gar nicht erst aufzumachen. Okay, ich gebe es zu: ein bisschen bin ich selbst schuld an dem Schlamassel, wusste ich doch genau, dass der letzte Tag in dieser Woche quasi auch der erste Tag der kommenden Arbeitswoche für mich sein sollte.

Was soll man machen, wenn der Moscow Mule im Ratzeputz besser schmeckt als je zuvor. In der hübschen Neuköllner Bar habe ich meinen ersten richtigen Samstagabend in Berlin verbracht. Nach einer kurzen, extrem heißen Dusche torkle ich ein wenig munterer, aber dennoch ziemlich entnervt mit der größten Tasse, die ich finden kann, in Richtung Kaffeemaschine. Zum Frühstück soll es in knapp einer Stunde ein Panel zum Thema „Vom Leben gezeichnet – soziale und politische Themen als Comic-Inspiration“ geben. Gerade wird in Berlin Literaturfestival gefeiert, und heute ist Graphic Novel Day.

Wirklich Appetit verspüre ich noch nicht, ist der einzige Knotenpunkt zwischen meiner Wenigkeit und dem Genre der Graphic Novel doch Seth Cohen, der zwischen 2003 und 2007 seine Serienfreundin Summer Roberts in „The O.C.“ von der Signifikanz eines Comicromans zu überzeugen versuchte und mich das erste Mal überhaupt über jene Art von Literatur nachdenken ließ. Cohen blieb allerdings in beiden Fällen erfolglos. Huch, fast die Zeit übersehen. Ich packe meine Tasche, werfe mir eine Jacke über und sehe zum Glück noch den Regenschirm in der linken Ecke meines Zimmers auf dem Fußboden rumliegen. Draußen schüttet es Bäche.

Fünfunddreißig Minuten später sitze ich noch immer ziemlich lustlos im Oberen Foyer des Hauses der Berliner Festspiele. Schon kurz nach elf und noch fast niemand da. Komisch. Weitere fünf Minuten später sind die Sitzreihen gut gefüllt. Eine Berliner Comicautorin, ein Inder und ein Schweizer bilden das erste Paneltrio. Sie sollen dem Publikum die Motive ihrer Arbeiten erklären. So weit, so gut. Der indische Comic-Autor meldet sich zuerst zu Wort. Souverän erzählt er von seinen Anfängen in der Branche. Wegen der internationalen Gäste werden die Panels auf Englisch geführt. Für zwei Drittel der ersten Gesprächsrunde kein Problem, doch dann soll sich die Berliner Autorin, die eigentlich Hamburgerin ist, äußern.

Ups! Schlafen meine Ohren noch oder hat die Dame ein Kommunikationsproblem? Ein paar Sätze später weiß ich: Meine Ohren sind wach. Einem englischen Wort folgt meist ein deutsches. Neben mir sitzt eine Dame, die quasi nach jedem Satz lauthals loslacht. Auch wenn das Gesagte meist gar nicht lustig ist. Vielleicht hat ja auch sie ein Problem mit der Kommunikation.

Auf dem Rückweg bekomme ich in der Bahn ziemlichen Hunger. An der Osloer muss ich umsteigen und lasse mir eine Tafel Schokolade aus einem der Snackautomaten am Bahnsteig raus. Während ich daran knabbere, denke ich über das Wochenende nach. Über Comics weiß ich jetzt auch nicht mehr. Aber über Schweden.

Denn mit einem Schweden, den ich am Vorabend beim „Oscar & The Wolf“-Konzert im Magnet Club kennengelernt hatte, habe ich mich die halbe Nacht im Ratzeputz unterhalten. Kommunikationsschwierigkeiten hatten wir nicht. Wir sprachen über Musik und Literatur, die Wahlen in Schweden, das Schulsystem in Deutschland und über die Insel nahe Göteborg, auf der er lebt. Die Stunden vergingen, das Wodka-Ginger-Ale-Gemisch in unseren Gläsern schwand immer schneller, und ehe ich mich versehen hatte, fiel ich gegen halb vier glücklich in mein Bett.