Zehn Kilometer Zugang zum Wasser

Mit der Hafencity steht Hamburg nicht allein: In Oslo wird derzeit die „Fjordstadt“ gebaut. Zentrales Element ist das spektakuläre Opernhaus. Anders als die Elbphilharmonie wird es komplett öffentlich zugänglich sein

Es regt sich Protest: dichte, schmale Wolkenkratzer werden den Blick von der Innenstadt auf den Fjord verstellen

von PETRA SCHELLEN

Der Grundstein der Hamburger Elbphilharmonie ist vermauert, die Stadt euphorisiert: Soll die Elbphilharmonie doch das Wahrzeichen der künftigen Hafencity werden, mit der man sich einreiht in die Phalanx internationaler Hafenausbau-Projekte. Erst im Februar endete das „Waterfront Community Project“ der EU, zu dessen Teilnehmern Hamburg gehörte.

Hamburg ist nicht die einzige Stadt, die dabei auf attraktive Kulturbauten setzt. Auch Oslo beschloss vor einigen Jahren, eine weithin sichtbare Landmarke zu setzen – in Form eines spektakulären Opernhauses, das 2008 eröffnet werden soll.

Dessen Baugeschichte unterscheidet sich jedoch stark von der der Elbphilharmonie. Während Letztere das I-Tüpfelchen und nicht Auslöser der Hafencity-Vision war, lässt sich Letzteres von der Osloer Oper schon behaupten. Mit ihr begann vor zehn Jahren die Entwicklung der zehn Kilometer langen „Fjordstadt“, die 2030 fertig sein soll. „Ein subventioniertes Opernhaus ist im von der Arbeiterpartei dominierten Norwegen schwer durchzusetzen“, sagt Bjørn Simensen. Er ist Chef der derzeit in einer unscheinbaren Passage residierenden Osloer Oper. „Trotzdem habe ich diese Diskussion vor zehn Jahren begonnen.“

Strittig war dabei nicht nur die Notwendigkeit eines neuen Opernhauses. Auch die Lage – ursprünglich geplant für das in West-Oslo gelegene Flanier-Areal Aker Brygge – war umstritten: Dorthin, wo die Reichen ohnehin residierten, sollte das Haus schon gar nicht, fanden die Politiker. Blieb nur, die Oper als Vehikel für die Entwicklung eines ganzen Stadtteils zu nutzen. In einer heruntergekommenen Hafengegend, dem Ost-Osloer Bjørvika, wird die Oper jetzt gebaut.

Die Planung besorgt das in Norwegen tätige Büro Snøhetta, das den internationalen Architektenwettbewerb gewann. „Wir hatten nicht damit gerechnet, den Zuschlag zu bekommen“, sagt Simon Ewings, der bereitwillig durch die Baustelle führt. Das Konzept ist klar: „Es soll ein Haus für alle sein.“

Ein Slogan, den auch die Planer der Elbphilharmonie im Munde führen. Doch kostenlos aufs Wasser schauen kann man dort nur von der Plaza aus. Die Außenseite des Gebäudes samt Panoramablick ist für Luxuswohnungen und Fünf-Sterne-Hotel reserviert. Und der Konzertbesucher muss tief in die Eingeweide des Gebäudes steigen. Den in der Osloer Oper möglichen Blick vom Foyer aufs Wasser wird es in der Elbphilharmonie nicht geben. Ein konzeptioneller Unterschied, der auch auf Mentalitätsdifferenzen verweist.

Die spiegeln auch die Konzepte für Hafencity und „Fjordstadt“. Letztere ist explizit als Areal für alle gedacht, alle sollen Zugang zum Fjord bekommen. Die Planer der Hamburger Hafencity propagieren dies nicht so explizit. An einigen Stellen wird man dort ans Wasser gehen können, doch die attraktivsten Areale haben Wohnungsbesitzer sowie Unternehmen reserviert.

In Norwegen genießt das „Freiluftleben“ einen hohen Stellenwert, und so überrascht es nicht, dass Oslo die Fjordstadt mit einem Umwelt-Entwicklungsplan verband. Er sieht breite Rad- und Spazierwege sowie die Verbesserung der Luft- und Wasserqualität vor. Angelpunkt der Fjordstadt ist die Untertunnelung weiter Teile der Straßen, Parks und Cafés sollen die Wasserlinie säumen und eine Promenade bis weit in den Süden bilden.

Eine solche Flaniermeile war bislang ein Desiderat, die Idee trägt städteplanerisch durchaus. Die Lebensqualität aller zu verbessern ist zudem offizielles Ziel der Fjordstadt – doch ganz störungsfrei ist das Idyll nicht. Denn die Untertunnelung der halben Stadt kostet Geld, und deshalb wurden große Gebiete an Investoren verkauft. Die müssen eine feste Summe erwirtschaften, die sie in den Stadtentwicklungsfonds einzahlen. Eine Abhängigkeit, die bizarre Planungen generiert: Eine Phalanx aus Bürotürmen soll zwischen Oper und Bahnhof gesetzt werden. Und wenn die Initiatoren dies als „Barcode-Projekt“ bezeichnen, trifft das exakt: Dichte, schmale Wolkenkratzer werden den Blick von der Innenstadt auf den Fjord verstellen. Das ist unschön, aber Investoren und Politiker brauchen Geld.

Die Pläne wurden 2003 beschlossen, im Herbst 2006 startete die zweite Planungsetappe. Als die Tageszeitung Aftenposten über diese Schattenseiten des Projekts schrieb, erhob sich plötzlich Protest. 30.000 Unterschriften hat Valla Bjørnsson, Initiatorin der Bürgerinitiative, in wenigen Wochen gesammelt. „Wir fühlen uns betrogen. Wir wollen den Blick aufs Wasser. Niemand hat uns gesagt, wie das aussehen würde“, sagt die junge Frau.

So ganz stimme das zwar nicht – die Pläne hätten fristgemäß offen gelegen, sagt Aftenposten-Journalistin Hilde Lundgaard. Aber weder Bürger noch Politiker hätten damals die Dimension der Bebauung begriffen. Und obwohl die Pläne bereits abgesegnet seien, habe der Bürgerprotest eine Chance, glaubt Lundgaard. „In diesem Jahr sind in Oslo Kommunalwahlen. Und Politiker aller Parteien haben in den letzten Monaten gesagt, dass sie diese Wolkenkratzer nicht mögen. Dieselben Politiker, die sie beschlossen hatten. Vielleicht haben sie sich damals von den Architekten blenden lassen.“ Die hätten behauptet, dass sie „durchsichtige Türme“ bauen würden.

Bei der übrigen Bebauung werde es sich um „hochpreisige Wohnungen“ handeln, räumt Stein Kolstø vom städtischen Fjordstadt-Planungsbüro ein. Nur zehn Prozent der Wohnungen sollen subventioniert werden. Die „Zugänglichkeit für alle“ reicht also übers Spazierengehen am Wasser nicht hinaus.

Die Bürgerbeteiligung aber schon – ein wichtiger Unterschied zur Hafencity, bei der die öffentliche Diskussion über die Kritik an Einzelpunkten nicht hinausging. Aber das liegt vielleicht daran, dass die Hafencity die Wohnqualität der Hamburger nicht tangiert. Oslo dagegen liegt in einem Kessel. Seine einzige Öffnung nach Kontinentaleuropa ist der Fjord. Und wenn man den von der Stadt aus nicht mehr sehen könnte, wäre das schon absurd.