die taz vor zehn jahren über den „kritischen dialog“ mit dem iran
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In den deutschen Chefetagen herrscht Gelassenheit. Allenfalls kurzfristige Folgen werde das „Mykonos“-Urteil auf den Handel haben, heißt es von der deutschen Wirtschaft. Die Einschätzung dürfte richtig sein. Hinter Kinkels Erklärung, der „kritische Dialog“ sei „auf absehbare“ Zeit beendet, steckt Kalkül. Stichtag ist der 23. Mai, der Tag der iranischen Präsidentschaftswahlen – ein guter Zeitpunkt für einen „Neuanfang“ der deutsch-iranischen Beziehungen.

Zwar wird der nächste iranische Präsident, wenn nicht ein Wunder geschieht, Ali Akbar Nateq Nuri heißen. Ein Konservativer mit wenig Sympathien für laizistisch gesinnte Intellektuelle und Oppositionelle aller Art; aber ein Mann, der weiß, daß die Islamische Republik nur am Leben zu erhalten ist, wenn Geld in das Land kommt – ein guter Geschäftspartner also. Nach seinem Amtsantritt könnten sich bisher unüberwindbare Handelsbarrieren plötzlich senken.

In der „Mykonos“-Debatte hält sich Nateq Nuri bisher auffallend zurück – als wolle er spätere Besucher nicht vergrätzen. Nach dem 23. Mai wird er eine von so finsteren Gestalten wie Geheimdienstminister Fallahian bereinigte Regierung vorstellen, mit der sich dann Klaus Kinkel wieder vertragen kann.

Wie sagte gestern der Vorsitzende der Deutsch-Iranischen Handelskammer, Herbert Riedel: „In der Wirtschaft ist es eigentlich üblich, Moral und Politik und so weiter auseinanderzuhalten.“ Für der Wirtschaft verpflichtete Außenpolitiker gilt das ebenso. Kein Grund zur Sorge in den Chefetagen also.

Thomas Dreger in der taz vom 11. 4. 1997