Der Weltbürger aus Schwaben

Er entstamme dem „Begabungs- und Neurosenfeld des Schwäbischen“, so umschrieb Klaus Harpprecht gelegentlich seine innere Prägung. Am 11. April 1927 in Stuttgart hineingeboren in ein protestantisches Pfarrhaus, wuchs Harpprecht als Spross einer Tübinger Juristen- und Theologendynastie auf. Nazigegnerschaft wirkte in der Familie: Sein Vater, Verbindungsmann der Bekennenden Kirche, gab Klaus eine Ohrfeige, als dieser Goebbels' Stürmer las. Die Kriegserfahrung blieb auch Harpprecht nicht erspart: Im Zuge der Grass-Debatte schilderte er, wie er in den letzten Kriegstagen dem Ende des Schreckens in einer Einheit der Waffen-SS entgegensah, in die der Soldat zuvor mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden war. Erlösung brachten schließlich Verwundung, Lazarett und amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Die schwäbischen Begabungen hatten angesichts der Enge keine große Wahl, von Hegel bis Hölderlin. „Was blieb ihnen“, schrieb Harpprecht, „als genial oder verrückt, vielleicht auch beides zu werden – oder zu emigrieren?“ Der umtriebige Harpprecht emigrierte immer wieder, höchst erfolgreich. Zunächst nach 1945 die Flucht in den Journalismus: Bonner Korrespondent der Wochenzeitung Christ und Welt, Rias-Kommentator, Mitarbeiter des SFB und WDR, später Chefredakteur von Geo, heute immer noch Cicero-Berater und Mitherausgeber des sozialdemokratischen Theorieorgans Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte.

Immer wieder die Flucht vor der deutschen Provinz in die Welt, in den frühen Sechzigerjahren als Amerikakorrespondent des ZDF. Geist und Macht blieben ihm vertraute Felder. Nach seiner Zeit als Chef des S. Fischer Verlags wurde er Redenschreiber von Kanzler Willy Brandt. Verständnislos gegenüber den Achtundsechzigern, war ihm die liberal-freiheitliche Note in der Sozialdemokratie eine Herzensangelegenheit. „Neue Mitte“ und „Compassion“ lauten die Begriffe des nicht gerade uneitlen Redenschreibers, die Brandt aufgreift. Puristen wird das Barocke an Harpprechts Stil manieriert vorkommen. Vieles daran ist jedoch der Eleganz jener Weltgegend verpflichtet, in der dieser europäische Weltbürger seit langem zu Hause ist: Frankreich. Seine klügsten Bücher hat diese linksliberale Zentralgestalt der deutschen Nachkriegspublizistik über die großen Traditionen des Nachbarlandes geschrieben. Mit seiner Frau Renate, die Auschwitz und Bergen-Belsen überlebte und mit der er seit 50 Jahren verheiratet ist, lebt er dort am Mittelmeer, tagesaktuelle Artikel, brillante Essays und kluge Bücher für das deutsche Publikum schreibend. Harpprechts Lust am Schreiben hört nicht auf. ALEXANDER CAMMANN