MITTEILUNGSDRANG
: Alles schick

Vier Jobs sind eine angemessene Bestrafung

Die Frau, die am Kaffeehaustisch Bekannte begrüßt, ist von Mitteilungsdrang beseelt. Alle im Umkreis eines Quadratkilometers lässt sie an den Neuigkeiten in ihrem Leben teilhaben. Ich bewundere solche Menschen: „Wir fahren jetzt raus auf unser Grundstück. Da bauen wir ein Haus. Eins haben wir schon. In Hamburg. Und demnächst wird geheiratet.“ Hört sich fast so an wie in der Werbung („mein Haus, mein Auto, mein Mann“), weshalb ich mich verstohlen nach einer Kamera umsehe. Gibt aber keine. „Alles schick“, fügt die Frau noch hinzu, und das bringt mich ins Grübeln.

„Der Olli“, den sie von der anderen Straßenseite herüberwinkt, kann jedenfalls nicht gemeint sein, denn der trägt eine viertellange Hosen, Sandalen, ein kariertes Freizeithemd und tendiert stark in die Breite. Und auch der Begriff „Olli“ verträgt sich nicht mit schick, eher mit Dittrich, bzw. mit Bademantel. Ich glaube, früher sagte man statt „schick“ „oder so“. Ist zwar nicht weniger überflüssig, klingt aber nicht so selbstzufrieden.

Die Frau teilt den zahlreichen Menschen an den Kaffeehaustischen noch mit, dass sie vier Jobs habe. Sollte das bei den Arbeitslosenzahlen nicht verboten sein, frage ich mich, aber dann lenke ich vor mir selbst ein und sage mir, dass vier Jobs eine angemessene Bestrafung sind. Dann denke ich wieder: Na, werden schon so Jobs sein. Irgendwas mit neuen Medien wahrscheinlich. Was Wichtiges eben. Olli hat auch vier Jobs, sagt die Frau noch. Sind schon acht. Und die heiraten jetzt. Alles schick. Oder so.

Ist die Gentrifizierung doch schon weiter fortgeschritten? Nicht ganz. Um die Ecke lauert der nichtsnutzige Biertrinker und trinkt Bier. Und das schon seit geraumer Zeit. Er tut sonst nichts. Sitzt nur da und trinkt Bier. Und raucht. Er hat keinen Job, und er will auch keinen. „Alles schick“ würde ihm nichts sagen. KLAUS BITTERMANN