Baustelle Kulturhauptstadt

Heute jährt sich die Entscheidung zur europäischen Kulturhauptstadt 2010 des Ruhrgebiets. Hunderte werben um Geld für ihre Projekte. „Auch Gelsenkirchen hat Europa was zu zeigen“

von ANNIKA JOERES

In den Schaufenstern liegt heute Kunst. Die ParfumverkäuferInnen handeln heute mit Gemälden, Installationen, Skulpturen. Jeans und Puppen werden verbannt – denn es ist schon jetzt „Schaurauschen“ in Linz, der Kulturhauptstadt 2009. Die österreichische Stadt an der Donau ist dem Ruhrgebiet genau ein Jahr voraus. Heute ist hier Geburtstag: Vor einem Jahr wurde das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt 2010 bestimmt. Die Erwartungen an das europäische Ereignis sind groß: Zu früheren Kandidaten wie zum Beispiel Lille kamen mehrere Millionen BesucherInnen. Der Oberbürgermeister von Essen, Wolfgang Reiniger (CDU), sagt schon jetzt: „Wir profitieren von der großen Aufmerksamkeit für unsere Region.“ In Essen steht die Zentrale der Kulturhauptstadt.

Auch der Programmkoordinator sieht schon „unzählige Energiequellen“, die sich in den vergangenen zwölf Monaten aufgetan hätten. „Es bilden sich überall Kreise und Initiativen“, sagt Jürgen Fischer. So hätten sich selbst alle StadtbibliothekarInnen zusammen gesetzt. Sie wollen Popliteratur anbieten und selbst zur Anlaufstelle für BesucherInnen werden. Insgesamt liegen 500 Projektanträge vor – vergleichsweise wenig. In Linz sind im selben Zeitraum schon 1.000 Anträge eingegangen. „Wir haben nicht so offensiv geworben“, sagt Fischer. Noch in diesem Jahr soll das vierköpfige Direktorium über das Programm entscheiden. Die Mehrzahl der Antragsteller wird wahrscheinlich, wie in Linz, mit einer Absage rechnen müssen, die Auserwählten sollen mit einem kleinen Budget noch eine weitere Präsentation bieten. „Wir sind ja keine Förderbehörde.“

Wie könnte das Programm aussehen? Bislang haben sich vor allem viele Menschen aus „dem Milieu der Internationalen Bauausstellung (IBA) gemeldet“, sagt Fischer. Damals wurde die Industriekultur des Reviers gefeiert – heute sind es wieder ArchitektInnen und RaumplanerInnen, die in der Stadt ihre Kunstprojekte ansiedeln. Und schon realisierte Projekte können auf dem Ticket der Kulturkapitale fortbestehen, zum Beispiel das deutsch-türkische Festival Melez, das Festival Odysee Europa der Theaterhäuser im Revier oder das Experiment „Jedem Kind ein Instrument“, das sich mittlerweile auch Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) auf die Fahnen schreibt.

Die insgesamt 53 beteiligten Städte und Gemeinden haben inzwischen alle Beauftragte ernannt – in Duisburg sind es sogar zehn. Mülheim bildet vor allem MigrantInnen zu mehrsprachigen Kulturscouts aus, sie sollen die Gäste durch die Region führen. In Gelsenkirchen ist dasselbe Team für die Kulturhauptstadt verantwortlich wie für die Weltmeisterschaft 2006. „Wir brauchen wie damals ein gesundes Selbstbewusstsein“, sagt Teamleiter Volker Bandelow. Auch Gelsenkirchen habe Europa etwas zu zeigen, zum Beispiel das Schloss Horst. „Ein Leitbau der Renaissance“, sagt Bandelow, alle Bautagebücher mit detaillierten Aufzeichnungen seien noch vorhanden. „Das wird eine zentrale Ausstellung“, sagt Bandelow. Schon jetzt würden die Weichen für 2010 gestellt.

Gerade kleinere Städte wollen nicht von Essen überrannt werden. „Die Region ist spannend, nicht Essen alleine“, sagt die Wittener Bürgermeisterin Sonja Leidemann (SPD). Witten will 2010 mit sieben Partnerstädten, unter anderem Israel, den Lebensalltag von Frauen präsentieren: So soll ein internationales Tagebuch entstehen. „Wir wollen keine Steine fördern, sondern Menschen.“