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Berge aus Stahl bewegen

Neue Geschäfte im Film II: Ärger über deutsche Arroganz. In dem Dokumentarfilm „Losers and Winners“ wird eine Kokerei von Dortmund nach China verkauft

Als der amerikanische Industrielle Robert P. McCulloch 1968 für zweieinhalb Millionen Dollar die London Bridge kaufte, um sie Stein für Stein abzutragen und in Arizona wieder aufbauen zu lassen, hätte er sich wohl kaum träumen lassen, dass ein solches Vorgehen knapp dreißig Jahre später gängige Praxis der Weltwirtschaft sein würde. Fabriken, die an einem Ende der Erde nicht mehr gebraucht werden, stehen am anderen für den Glauben an eine goldene Zukunft.

Im Jahr 2000 wird die Dortmunder Kokerei „Kaiserstuhl“, die gerade einmal acht Jahre zuvor ihren Betrieb aufgenommen hat, aufgrund mangelnder Rentabilität geschlossen. Drei Jahre später kauft sie für rund 60 Millionen Euro ein chinesischer Investor, um sie in seinem Heimatland wieder zu errichten. Die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken haben den Abbau der Anlage anderthalb Jahre begleitet. In „Losers and Winners“ lassen sie die verbliebenen deutschen Mitarbeiter, die den ordnungsgemäßen Abbau der Kokerei überwachen, und einige der knapp vierhundert Chinesen, die das Projekt unter hohem körperlichen Einsatz umsetzen, zu Wort kommen.

Das Dokument der Begegnung zweier Kulturen, die letztendlich relativ wenig miteinander anfangen können, ist überraschend und manchmal bewegend. „Das war der modernste Arbeitsplatz der Welt“, erzählt ein Deutscher mit Wehmut. Ein Kollege zweifelt, dass es den Chinesen auch tatsächlich gelingen wird, die Kokerei in ihrer Heimat wieder in Betrieb zu nehmen. Die Chinesen wiederum ärgern sich über die Arroganz der Deutschen. Es sei schließlich nicht die erste Fabrik, die von Deutschland nach China exportiert werde, hält ein Chinese seinem deutschen Kollegen trotzig entgegen: „Wir haben auch Erfahrungen“.

In langen Sequenzen beschränkt sich der Film oft aufs bloße Beobachten, etwa wenn er die chinesischen Arbeiter beim gemeinsamen Suppeschlürfen oder vor dem Fernseher zeigt. Unterlegt von traditioneller chinesischer Flötenmusik sieht man immer wieder das Panorama der nach und nach verschwindenden Kokerei: verlassene Türme, Berge aus Rohren, Tonnen von rostigem Stahl – und begreift dabei die aberwitzigen Dimensionen dieses Projekts.

Irgendwann ist es dann vollbracht. Die Chinesen kehren zurück in eine weitere 60-Stunden-Woche, auf die Deutschen wartet die Frühverrentung. Was bleibt, sind Erinnerungen. Etwa an den chinesischen Manager, der die rätselhafte Zeile „Die Romantik der Windglocke weckt das Streben nach einem schönen Leben“ unter ein Mercedes-Benz-Werbeplakat schreibt, oder an den deutschen Arbeiter, der unbeschwert mit seinem chinesischen Kollegen scherzt und für einen Augenblick alle Animositäten in weite Ferne rücken lässt.

ANDREAS RESCH

„Losers and Winners“. Regie: Ulrike Franke und Michael Loeken. D 2006, 96 Min. Ab heute im fsk-Kino

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