IN PARIS UND BERLIN ÄHNELN SICH DIE CAFÉS UND DIE, DIE DARIN SITZEN, UM ZU ARBEITEN – UND DIE FRIEDHÖFE AUCH
: Es lebe der Rock ’n’ Roll

MARTIN REICHERT

Über Berlin und Paris in einer Kolumne zu sprechen ist ungefähr so, als ob man Arte einschaltet. Man macht es selten, aber wenn, dann kann man Überraschungen erleben.

In Montmartre in einem Straßencafé zu sitzen, um einen Text zu verfassen, der tatsächlich gedruckt wird, und dabei Kette zu rauchen, ist wiederum ein Klischee. Und irgendwie peinlich. Während ich genau das tue, gucken die Leute komisch. Besonders die Touristen, die mich ganz gerührt betrachten, weil sie denken, dass ich einer der wenigen Einheimischen bin, die sich hier in diesem doch etwas sehr malerischen Viertel von Paris mit womöglich ambitioniertem Geschreibsel verdingen. Einer, der es in seiner schäbigen Dachkammer nicht mehr ausgehalten hat und nun bei einem kleinen Allongé stundenlang …; während die wenigen wirklichen Einheimischen denken, dass ich hier wie ein Depp herumsitze, der einen Kurs für „Creative Writing“ an der University of Kansas absolviert hat und mal besser aufpassen sollte, dass mir mein Mac nicht gleich unter dem Arsch weggeklaut wird. Das Café heißt auch noch LE NAZI. Nur bei näherem Hinsehen merkt man, dass es „Le Nazir“ heißt.

Aber es sollte ja auch um die Toten gehen und nicht um die Arbeit. Ich bin hier ja nur zu Besuch und im Urlaub und deshalb habe ich heute zum ersten Mal nach zwanzig Jahren Jim Morrison besucht, der nunmehr offensichtlich eingezäunt wurde. Rund um seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Père Lachaise wurden portable Metallgitter angebracht. Womöglich, damit die umliegenden Gräber auf dem malerischen Promi-Friedhof nicht von Abertausenden von Touristen, wie ich es einer bin, zermalmt werden. In meiner Anwesenheit beerdigt wurde eine Dame mit Smokey-Eyes und Big Hair, die offensichtlich ihr Geld mit Gesang in den Sechzigern verdient hatte. Die Gäste trugen schwarze Rollkragen-Pullover & Jackett sowie Twin-Set & High Heels.

Die Gemeinsamkeit zwischen Paris und Berlin besteht nun darin, dass es auch in Berlin schöne Friedhöfe gibt, auf denen Prominente beerdigt wurden und werden. Unlängst besuchte ich den St.-Matthäus-Friedhof in Berlin-Schöneberg. Die Adresse hatte ich einem zufällig herumliegenden Reiseführer entnommen. So wie auch die Information, dass dort Rio Reiser begraben läge und es im Eingangsbereich ein hübsches kleines Café gäbe, in dem selbstgemachter Kuchen serviert würde.

Rio Reiser habe ich nicht gefunden, aber der Kuchen schmeckte gut. In meiner Anwesenheit beerdigt wurde ein Herr (oder eine Dame?), der oder die etwas mit Kreuzberg, Rock ’n’ Roll und den Achtzigern zu tun hatte. Die Gäste trugen Kutte, Tatoos und Dosen mit Jeam Beam & Coke.

Donnerstag

Ambros Waibel

Blicke

Freitag

Michael Brake

Nullen und Einsen

Montag

Maik Söhler

Darum

Dienstag

Jacinta Nandi

Die gute Ausländerin

Mittwoch

Matthias Lohre

Konservativ

Darüber hätte man auch etwas Schönes schreiben können. Und in Berlin hätte ich das auch ganz unauffällig bewerkstelligen können, indem ich in das legendäre Internetcafé „St. Oberholz“ am Rosenthaler Platz gegangen wäre. Die Frage aber, die mir viel mehr unter den Nägeln brennt, ist folgende: Warum sucht man ab einem bestimmten Alter den Rock ’n’ Roll nur noch auf Friedhöfen?