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Grunzen und fahren

Schockkino: Der französische Regisseur Bruno Dumont schickt in „Twentynine Palms“ ein kommunikationsgestörtes Paar in die Wüste

Seine Vorbehalte gegen Amerika legt Dumont nie ganz ab. Ein diffamierender Unterton zieht sich durch seinen Film

VON ANDREAS BUSCHE

Ein Mann und eine junge Frau reisen in einem Hummer-Jeep durch einen verlassenen Landstrich in Südkalifornien, irgendwo zwischen Los Angeles und Death Valley. Der Regisseur Budd Boetticher hat über diese Gegend mal gesagt, in Amerika gebe es keine bessere Location für einen Science-Fiction-Film. In Boettichers Western hat sie einen atemberaubenden Hintergrund abgegeben. Es ist die Art von archetypischer Landschaft, die europäische Filmemacher seit Generationen von Amerika und dem klassischen Hollywoodkino schwärmen lässt. Der französische Regisseur Bruno Dumont kennt diese Kinobilder natürlich, auch wenn er dem Kino, nicht nur dem amerikanischen, skeptisch gegenübersteht. Als er zum ersten Mal den Joshua Tree Nationalpark besucht hat, sagt er in einem Interview, habe er zunächst Angst verspürt. Die Bilder haben ihn lange verfolgt, und so kehrte er 2003 dorthin zurück, um mit „Twentynine Palms“ einen Film über Amerika und über sein Unbehagen zu drehen. Mit vierjähriger Verspätung kommt „Twentynine Palms“ nun auch in die deutschen Kinos.

Dumont, ein ehemaliger Philosophieprofessor, hat Ende der Neunzigerjahre mit „La Vie de Jésus“ und „L’Humanité“ das europäische Autorenkino aus dem Tiefschlaf erweckt. Angesiedelt im ländlichen Norden Frankreichs, nahe Dumonts Geburtsort, erzählten beide Filme von existenzieller Verzweiflung, die die Menschen in die Sprachlosigkeit trieb. In quälend langen Kameraeinstellungen offenbarte die Leere seiner Bilder eine Sinnsuche ohne tieferen Sinn; minutenlang konnte man den ungelenken Protagonisten bei der Verrichtung monotoner Arbeit oder bei leidenschaftslosem Sex zugucken. Die Darstellung langwieriger äußerlicher Handlung hat bei Dumont im Gegensatz zum experimentellen Film aber keine strukturierende Funktion. Die Schärfung der Wahrnehmung führt weder zu tieferer Erkenntnis noch zur Öffnung des Blicks. Man kann nicht einmal sagen, dass Dumont besonders genau beobachtete oder seine Bilder besonders sorgfältig komponiert seien.

Es liegt aber eine spezielle Qualität in Dumonts Filmen, die man im Kino lange vermisst hat: eine physische Unmittelbarkeit, wie man sie aus dem Horrorfilm kennt. Die inszenierte Leere macht Zeit bei Dumont fast körperlich erfahrbar. Seine Darsteller filmt er mit schonungsloser Direktheit; der ästhetische Zugang zu seinen Filme geht immer wieder über das Körperliche, über Sex und Gewalt.

Die Bedrohung, die Dumont in der Weite des amerikanischen Westens verspürt hat, war bereits in seinen französischen Provinzdramen gegenwärtig. In „Twentynine Palms“ macht sie sich als diffuse Ahnung bemerkbar, auch weil man inzwischen Dumonts Faible für blutige Wendungen kennt. Aber da ist auch eine Spannung zwischen dem Fotografen David (David Wissak) und seiner russischen Freundin Katia (Katia Golubeva). Die Frau scheint etwas labil und ihr Kommunikationsproblem erschwert die Beziehung zusätzlich: Unterhalten müssen sie sich in Französisch, einer Sprache, die beide nur rudimentär beherrschen. Früh im Film gibt es einen Dialog zwischen ihnen, der fast komisch ist – bis man enttäuscht feststellt, dass er die Essenz von Dumonts Film umfasst. David beschwert sich ungehalten, dass ihre Gespräche keinen Sinn ergeben, er könne Katias Logik nicht folgen. Die Stimmung zwischen den beiden droht zu kippen, bis Katia ihn kichernd mit den Worten „Ich liebe dich!“ unterbricht. Dann gehen sie aufs Motelzimmer und vögeln – laut, schnell, mechanisch.

Die Zyklen von langen, ereignislosen Autofahrten und dem animalischen Grunzen und Stöhnen der beiden Hauptdarsteller verleiht „Twentynine Palms“ eine lose Struktur. Einmal verlassen sie ihren Wagen, um nackt auf einen Felsen zu klettern. Dabei wäre es anmaßend zu behaupten, Dumont wandele auf den Spuren Antonionis. Denn anders als seine Kollegen Antonioni, Wenders oder Demy legt Dumont seine Vorbehalte gegenüber Amerika nie ganz ab. Ein diffamierender Unterton durchzieht den gesamten Film: Im Fernsehen läuft die stumpfe Talk-Sendung „The Jerry Springer Show“ und Dumont kann sich den kurzen Schnitt auf eine übergewichtige White-Trash-Mutter nicht verkneifen. Später werden Katia und David beim Überqueren eines Highway aus einem SUV heraus angeschrien. Jeder herannahende Wagen ist latent bedrohlich.

„Twentynine Palms“ bleibt dabei eine Fingerübung in prätentiösem Schock-Kino. Es mangelt Dumonts Film an einer Poesie der road, wie sie Vincent Gallos „Brown Bunny“ noch auszeichnete; Dumont führt sich auf wie ein Tourist. Die Beschränkungen seines physisch geprägten Erfahrungskinos werden umso schmerzhafter bewusst, je mehr Stereotypen und kulturelle Vorurteile er ansammelt.

„Twentynine Palms“. Regie: Bruno Dumont. Mit Katia Golubeva, David Wissak u. a. Frankreich/Deutschland/USA 2003, 119 Min.

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