Wer flieht, ist vielleicht ein Terrorist

Zehntausende Menschen sind nach den blutigen Kämpfen in Somalias Hauptstadt Mogadischu auf der Flucht Richtung Kenia. Aber Hilfe kriegen sie nicht. Stattdessen werden einzelne abgefangen und als mutmaßliche islamistische Kämpfer verschleppt

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

In Doble, der letzten somalischen Siedlung in der Wüste vor der kenianischen Grenze, kampieren tausende Menschen, die aus der umkämpften Hauptstadt Mogadischu geflohen sind. Doch der Weg ins nur wenige Kilometer entfernte Nachbarland Kenia, wo die meisten Somalier Verwandte oder Bekannte haben, ist geschlossen. Offizielle Begründung der kenianischen Regierung: Man wolle die Flucht von Islamisten verhindern.

„Die Flüchtlinge dort haben keine Unterkunft, keine Nahrung, kein Trinkwasser“, weiß Catherine Weibel vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Helfen kann ihre Organisation nicht, obwohl nur zwei Autostunden entfernt im Flüchtlingslager Dadaab auf der kenianischen Seite ausreichend Vorräte lagern. „Wir haben keinen Zugang zu den Flüchtlingen, weder das UNHCR selber noch andere Hilfsorganisationen.“ Selbst eine medizinische Betreuung derjenigen, die tage- und wochenlang zu Fuß durch den Busch geflohen sind, gibt es nicht.

Das alles, sagen Helfer, ist ein Bruch internationalen Rechts. „Doch um internationales Recht schert sich hier ja schon lange keiner mehr“, kommentiert ein Helfer in Dadaab, der anonym bleiben will.

In Somalia, das seit 16 Jahren keine Regierung mehr hat, rechnet ohnehin niemand mit der Einhaltung von Rechtsstandards. Doch seit die unter internationaler Vermittlung eingesetzte Übergangsregierung gemeinsam mit äthiopischen Truppen Ende 2006 Mogadischu eroberte und den „Anti-Terror-Kampf“ gegen somalische Islamisten ausgerufen hat, gerät auch Kenia zunehmend in die Kritik.

Das erstreckt sich nicht nur auf den Umgang mit Flüchtlingen in der Wüste. Ende März blamierte das Pentagon die kenianische Regierung, als es einen Neuzugang im Terrorgefängnis Guantánamo auf Kuba bekannt gab. Mohammed Abdulmalik soll an dem Anschlag auf ein vor allem von Israelis besuchten Hotel in der kenianischen Hafenstadt Mombasa beteiligt gewesen sein, bei dem im November 2002 15 Menschen starben und 80 verletzt wurden. Außerdem soll es Beweise geben, dass Abdulmalik den gescheiterten Abschuss eines israelischen Flugzeugs geplant hat. Doch obwohl Abdulmalik, der eher zufällig festgenommen wurde, die Terrorakte in Kenia begangen hat und vermutlich sogar kenianischer Staatsbürger ist, wurde der 37-Jährige US-Behörden übergeben.

„Das widerspricht allen kenianischen Gesetzen“, regt sich Anwalt Eric Mugeni, der Vorsitzende der kenianischen Rechtsgesellschaft, auf. „Jeder Kenianer hat Grundrechte, die ihm nicht einfach entzogen werden können.“ Seine Anwälte hatten laut Mugeni nie Zugang zu ihm.

Schließlich sagte der für Somalia zuständige US-Botschafter in Kenia, Michael Ranneberger, Abdulmalik sei gar kein Kenianer – eine Behauptung, auf die einige Tage später auch Kenias Sicherheitsminister Peter Munya umschwenkte. Bis dahin hatte er die kenianische Nationalität Abdulmaliks nie in Frage gestellt.

Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ hat 85 Fälle dokumentiert, in denen kenianische Sicherheitskräfte seit Dezember Flüchtlinge an der Grenze zu Somalia abgefangen und zu Verhören durch US-Geheimdienste nach Nairobi geflogen haben. Von dort seien die Flüchtlinge nach Somalia zurückgebracht und in äthiopische Sammellager verschleppt worden. Äthiopiens Regierung hat mittlerweile eingeräumt, 41 mutmaßliche Terroristen aus Somalia eingesperrt zu haben. Von geheimen Lagern will sie aber nichts wissen. „Es gab keine geheimen Operationen“, heißt es in einem Statement. Doch ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes in Äthiopien bestätigt im Schutz der Anonymität, dass es zu keinem Zeitpunkt Kontakt zu den Festgenommenen gegeben hat, wie es die Genfer Konvention vorschreibt.

Die Vorgänge an der kenianisch-somalischen Grenze verunsichern inzwischen auch die EU, die offiziell fest zur neuen somalischen Übergangsregierung steht. Ein internes Schreiben in der EU-Vertretung in Nairobi warnt, dass die EU beim Umgang mit Somalias Regierung Vorsicht walten lassen müsse. Es sei wahrscheinlich, dass diese sich mit den jüngsten Attacken auf zivile Wohnviertel in Mogadischu Kriegsverbrechen schuldig gemacht habe. Die Kämpfe in Mogadischu Anfang April waren von Hilfswerken als die heftigsten seit 16 Jahren bezeichnet worden; zehntausende Menschen ergriffen die Flucht und hunderte wurden getötet.