„Eine neue Strategie Bin Ladens“

Der marokkanische Experte Mohammed Darif analysiert Nordafrikas neue Terrorwelle

taz: Herr Darif, ist mit den Anschlägen von Algier und den Vorfällen in Casablanca „al-Qaida Maghreb“ endgültig Realität geworden?

Mohammed Darif: Die Entwicklung im Maghreb geht in diese Richtung. Die Al-Qaida-Organisation Islamischer Maghreb ist nicht ein neuer Name für die Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf (GSPC) in Algerien, sondern soll alle Salafisten in Nordafrika zusammenführen, von Libyen bis Mauretanien. Die Algerier sind der harte Kern. Diese Gruppen haben genug Erfahrung, um Nordafrika eine neue Realität aufzuzwingen.

Welche Ziele verfolgt al-Qaida Maghreb?

Die Gründung der al-Qaida Maghreb ist die Folge einer neuen Strategie Ussama Bin Ladens und seiner Strategen. Sie konzentrieren sich auf den Irak. Sie glauben, dass von dort aus der arabische, islamische Staat entstehen wird. Um dies zu erreichen, braucht al-Qaida Kämpfer, und diese finden sich im Maghreb und auch unter den Nordafrikanern in Europa. Die Organisation in Nordafrika dient also der Rekrutierung. Hinzu kommen die Verluste, die die Salafisten im Maghreb hinnehmen mussten – vor allem nach den Anschlägen 2003 in Casablanca und 2004 in Madrid wurden breite Teile der salafistischen Netzwerke in Marokko von der Polizei zerschlagen. Das Gleiche gilt für Libyen und Tunesien. Und in Algerien konnte die Armee die Salafisten Richtung Süden abdrängen, in die Sahelzone. Mit einem Zusammenschluss soll diese relative Schwäche überwunden werden.

Ist al-Qaida Maghreb auch eine Bedrohung für Europa?

Vor allem für Frankreich dürfte es eine Gefahr darstellen.

Mehr soziale Rechte, mehr Demokratie – wäre dies ein Mittel, um den Zulauf zu den radikalen Islamisten zu stoppen?

Dieser sozioökonomische Ansatz greift zu kurz. Alleine durch die Demokratisierung der Maghrebstaaten wird die Gewalt nicht verschwinden. Die Salafisten stehen einem modernen, demokratischen Staat ablehnend gegenüber. Fehlende Demokratie, Armut und Marginalisierung sind nicht immer die Gründe für Gewalt. Es gibt auch kulturelle und religiöse Faktoren, die damit nichts zu tun haben. Der Terrorismus muss deshalb auf zwei Ebenen bekämpft werden. Zum einen mit der Polizei. Dafür brauchen wir eine Modernisierung der Sicherheitskräfte und deren Kooperation im gesamten Maghreb und auch mit der EU. Die zweite Ebene ist die Bekämpfung der radikalen Religionsauslegung, die den Terrorismus fördert. Wir müssen dieser Kultur des religiösen Radikalismus eigene Werte entgegensetzen. Aber der Terrorismus ist kein Problem des Maghreb. Es handelt sich um ein internationales Phänomen.

INTERVIEW: REINER WANDLER

MOHAMMED DARIF, 48, ist Politikwissenschaftler an der Universität von Casablanca in Marokko