Volk wählt, Geld siegt

Am 14. April wählt der wahlberechtigte Teil der 140 Millionen Einwohner Nigerias neue Gouverneure und Parlamente für die 36 Bundesstaaten des Landes. Sie genießen erhebliche Macht und ihre Wahl ist auch ein Stimmungstest für die nächste: Am 21. April werden ein neuer Präsident und ein neues Parlament für ganz Nigeria gewählt. Der bisherige Präsident Olusegun Obasanjo, desssen Wahl 1999 sechzehn Jahren Militärherrschaft ein Ende setzte, darf nach zwei gewählten Amtszeiten nicht mehr antreten. Die Nachfolge ist weiter offen. Aber noch nie gelang in Nigeria ein friedlicher Machtübergang von einem gewählten Präsidenten zum nächsten. Deswegen wird Nigerias Wahl mit großen Befürchtungen um Afrikas Stabilität begleitet. D.J.

AUS LAGOS UND ANAMBRA MONA HOPE

Uzo Uzuoegwu hat es eilig. Es ist später Nachmittag, und mit ihrem 200er Mercedes will sie schnell nach Hause über die Stadtautobahn von Lagos. Es dämmert schon, die Hitze staut sich im Auto, die Abgase brennen in Augen und Hals und die Kinder beginnen zu quengeln. „Fenster hoch und Knöpfe runter“, befiehlt sie, denn mit der Dunkelheit wird es gefährlich, die Staus geraten ins Visier bewaffneter Räuber. „Sie gehen von Auto zu Auto und holen sich Handys und Geld. Und wer sich wehrt, wird einfach abgeknallt.“ Die Polizei? Die Buchhalterin lacht: „Wenn die ersten Schüsse fallen, rennen die als erste in den nächsten Busch! Und viele stecken mit den Kriminellen unter einer Decke.“ Und dann redet sie sich in Rage. „Nichts geht hier in unserem Land, nichts funktioniert!“ Die Politiker? Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Ihr Ziel ist, während ihrer Amtszeit so viel Geld wie möglich in die eigene Tasche zu stecken. Das ist alles.“

Nur noch wenige Tage sind es bis zu den Wahlen – und es brodelt gewaltig in Nigeria. Faire und friedliche Wahlen hatte sich die Bevölkerung von ihrer acht Jahre jungen Demokratie erhofft, stattdessen häufen sich Berichte von Gewalt im Wahlkampf, und die Angst wächst. Wer als Parlamentarier oder Bundesstaatsgouverneur gewählt werden will, erschleicht sich auf Wahlkampfveranstaltungen die Gunst seiner Wähler mit uneinlösbaren Versprechen und großzügigen Geschenken, seien es T-Shirts, Reissäcke oder Bargeld. Nicht selten steht hinter dem Kandidaten ein zahlungskräftiger Pate, Godfather genannt, der sich nach dem Wahlsieg dann auszahlen lässt – mit Barem, oder auch durch politische Einflussnahme. Der Druck, zu gewinnen, ist hoch, und politische Gegner werden mit allen Mitteln bekämpft. Reichen Schmutzkampagnen nicht mehr aus, stören angeheuerte Schlägertrupps die Veranstaltungen der gegnerischen Parteien. Bislang schätzen Medien die Zahl der Toten im Wahlkampf auf siebzig, erst am Mittwoch kamen in Lagos drei dazu.

Noch immer ist unklar, ob die Wahllokale überhaupt wie angekündigt am 14. und 21. April ihre Türen öffnen. Denn noch immer ist fraglich, wer antreten kann. Fast auf allen Ebenen wird Streit um die Zulassung von Kandidaten vor Gericht ausgefochten. Unklar ist sogar, ob die Wahlkommission Inec den bisherigen Vizepräsidenten und Präsidentschaftskandidaten der Oppositionspartei Action Congress (AC), Atiku Abubakar, überhaupt zur Wahl zulässt. Abubakar, einer der populärsten Politiker des Landes, wehrt sich gegen die Sperre, die gegen ihn wegen Korruptionsvorwürfen verhängt wurde, und klagt sich durch die verschiedenen Gerichtsinstanzen. Doch es scheint, als verliere er den Wettlauf gegen die Zeit. Als das Oberste Gericht gestern seine Klage in letzter Instanz anhören wollte, verfügte Präsident Olusegun Obasanjo kurzerhand einen öffentlichen Feiertag, und die Klage wurde auf nächste Woche verschoben – wohl zu spät für Abubakar, um auf die Stimmzettel zu gelangen.

Atiku Abubakar teilt sein Schicksal mit 134 weiteren Politikern, die sich um einen Gouverneursposten in einem der 36 Staaten des Landes oder einen Sitz im Parlament bewerben und allesamt von der Inec gesperrt wurden. Die Inec folgte damit den Empfehlungen der Antikorruptionskommission EFCC, die den Politikern korrupte Machenschaften nachgewiesen haben will. Kritiker zweifeln allerdings an der Neutralität der Kommissionen – beide seien fest in der Hand des Präsidenten Olusegun Obasanjo. Er hat seinen Parteifreund Maurice Iwu, einen zwielichtigen Geschäftsmann aus dem Pharmabereich, zum Vorsitzenden der Wahlkommission ernannt. Und bei der Gründung der Antikorruptionsbehörde EFCC räumte er sich das Recht ein, jederzeit nach Belieben Kommissionsmitglieder entfernen und austauschen zu können.

Die Opposition fürchtet, dass der Präsident die beiden Kommissionen missbraucht, um den Kandidaten seiner Partei PDP (People’s Democratic Party) den Weg zum Sieg zu ebnen, insbesondere dem Präsidentschaftskandidaten Umaru Musa Yar’ Adua, einem engen Familienfreund des Präsidenten. Die „Transition Monitoring Group“, eine einflussreiche Koalition von 250 Nichtregierungsorganisationen, kritisiert: „Die Inec steckt alle ihre Energien in die Verfolgung dieser dubiosen Agenda und nutzt dabei Ressourcen, die eigentlich für saubere Wahlen vorgesehen sind“.

„Dubiose Agenda“

Chris Ngige, einstiger Gouverneur des südöstlichen Bundesstaates Anambra und heute Mitstreiter Abubakars im Action Congress, kehrte erst Anfang Februar aus den USA in die Heimat zurück, um als AC-Kandidat für den Gouverneursposten anzutreten. „Wir haben ihn zu Hunderttausenden empfangen“, erinnert sich Augustin Ezeoke in der Stadt Nnobi, während er Palmnüsse presst, um daraus Palmöl zu gewinnen. Wenige Wochen später aber stand Ngige auf der Liste der gesperrten Politiker. Ezeoke versteht das nicht, denn an Ngiges Zeit als Gouverneur, damals noch für die Regierungspartei PDP, hat er eine gute Erinnerung: „Er hat Straßen gebaut, die ausstehenden Gehälter der Lehrer und Ärzte im Staatsdienst bezahlt und so dafür gesorgt, dass geschlossene Krankenhäuser und Schulen wieder arbeiteten.“

Das ist keine vier Jahre her: Bei den letzten Wahlen, im Jahr 2003, hatte eigentlich Peter Obi von der APGA (All Progressive Grand Alliance) den Gouverneursposten gewonnen und Ngige hatte verloren – zum Missfallen des PDP-Establishments, wie sich Ezeoke erinnert. „Der schwerreiche und einflussreiche Industrielle Chris Uba hatte damals Ngiges Wahlkampf auf der PDP-Plattform gesponsert, und der wollte natürlich sein Geld zurück.“ Uba ließ seine Verbindungen nach ganz oben spielen, die Wahlergebnisse wurden annulliert und Ngige zog doch in den Gouverneurspalast ein. Als er seinen „Godfather“ Uba aber nicht auszahlte – man sprach von rund 18 Millionen Euro –, wurde Uba zu Ngiges erbittertem Gegner, heuerte Schläger an, die Teile des Regierungsgebäudes zerstörten, und ließ ihn im Juli 2003 sogar verhaften. Das Bundesstaatsparlament akzeptierte seine Rücktrittserklärung, Obi wurde wieder eingesetzt und Ngige verließ das Land – bis zu seiner triumphalen Rückkehr im Februar. Die Wahlkommission schloss dann nicht nur Ngige von der Wahl aus, sondern auch weitere Gegenkandidaten und den amtierenden Gouverneur Peter Obi.

Der Kandidat der PDP hatte nun keinen ernsten Gegenkandidaten mehr – und dieser Kandidat ist Andy Uba, Bruder des „Godfather“ Chris Uba und „Senior Special Assistant“ des Staatschefs. Bis gestern: Da entschied INEC nach einer neuen Schlappe vor Gericht, Ngige doch zuzulassen. Spannung bis zuletzt.

Die Bevölkerung scheint sich die Wahlkampfkrimis aus der Distanz anzusehen. Manche haben sich ganz von der Politik abgewendet, wie Edith, eine Lehrerin: „Wir dürfen zwar wählen, aber wer danach regiert, das entscheidet dann doch jemand anderes.“ Andere verdienen sich als Claqueure etwas dazu. Francis, Bauingenieur in Anambra, hat sich in vier Parteien registrieren lassen. „Ich esse nur ihr Geld“, sagt er. Erst sei er dem AC, dann der DPP beigetreten, beim ACD wurde er sogar Jugendführer, bis die von der ANPP (All Nigerian People’s Party) des einstigen Militärdiktators Muhammadu Buhari bei ihm anklopften, und die zahlten nun mal am besten. Keine moralischen Bedenken? „Man tritt ein, wenn man was bekommt. Das ist es, woran wir glauben.“

Selbst wer sich ernsthaft engagiert, wird sich zweimal überlegen, für seine Überzeugung auf die Straße zu gehen. Mitte März verkündete der Präsident, dass Aufstände vor und während den Wahlen nicht geduldet würden. Das der Polizei untergeordnete Civil Defence Corps sorge für Sicherheit, und: „Die Truppen sind überall.“ Bislang bleibt die Spezialeinheit allerdings unsichtbar, auch die Gewaltexzesse nehmen eher zu als ab, stattdessen registriert die Bevölkerung beunruhigt die vermehrte Präsenz des Militärs, wie etwa in Anambra. Hier haben die Soldaten verwaiste Kasernen wieder bezogen, dort tummeln sie sich mit der Polizei an einer Straßensperre. „Sollen sie sich die 20 Naira Schmiergeld (umgerechnet 12 Cent) doch mit den Polizisten teilen“, kommentiert Emeka, ein junger Mann, der sich mit dem Verkauf von CDs über Wasser hält. Sollten sie tatsächlich zum Einsatz kommen, werde es aber gefährlich: „Die schießen jeden tot, der im Weg ist.“

Landesweit machen drei große Parteien die Wahl unter sich aus: Präsident Obasanjos PDP, Vizepräsident Abubakars AC und die im islamischen Norden des Landes starke ANPP von Muhammadu Buhari. Sollte Abubakar tatsächlich von den Wahlen ausgeschlossen sein, steigen die Chancen für Buhari. Obwohl einst Militärdiktator und jahrelang Vorsitzender des Ölfonds Petroleum Trust, gilt er als einer der wenigen Politiker Nigerias, die sich nicht am Staatseigentum vergriffen haben. Der von ihm geführte unblutige Militärputsch 1983 mündete in einer zweijährigen Amtszeit, die in der Erinnerung vieler nicht unbedingt negativ abgespeichert ist: Buhari wollte das Chaos im Land bekämpfen, angefangen beim Müll auf den Straßen, aber auch offene Prostitution oder Korruption waren ihm ein Dorn im Auge. Allein sein Glaube – er ist, wie die Hälfte der nigerianischen Bevölkerung, Muslim – wird viele im von Christen dominierten Süden davon abhalten, für ihn zu stimmen.

Die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden Nigerias, zwischen Muslimen und Christen ist groß. Immer wieder entladen sich politische Spannungen in Gewalt zwischen Religionsanhängern. Nun verlassen im Norden ansässige Christen ihre Häuser, reisen in den Süden, um den Verlauf der Wahlen aus sicherer Entfernung abzuwarten. Der Händlerin Ngozi aus Lagos waren Blutlachen auf den Straßen und patrouillierende Parteianhänger Grund genug, die Stadt mit ihrem Säugling zu verlassen. „Es wird heiß“, sagt sie, und sie hofft, dass es beim Brodeln bleibt.

In Lagos bewegt sich Uzo Uzoegwu inzwischen im Schritttempo vorwärts. Es ist acht Uhr abends und stockdunkel. Von hinten ist eine Sirene zu hören. „Da kommt ja einer von unseren tollen Politikern“, höhnt Uzo. Die Sirene heult lauter und lauter. Auch für das VIP-Auto ist kein Durchkommen. Als Sicherheitsleute mit Schlagstöcken in der Hand auftauchen, um dem Fahrzeug die Weiterfahrt zu ermöglichen, kann sich Uzo nicht mehr halten. Sie kurbelt ihre Scheibe runter und brüllt ironisch: „Vielen Dank! Und Gott beschütze euch!!“