Tauwetter in Tokio

AUS TOKIO ANDREA WALDBRUNNER

Der zweite Tag des historischen Besuchs von Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao in Japan begann sportlich: Um sechs Uhr früh joggte Wen mit seiner Entourage durch den Tokioter Yoyogi-Park. Sein Shirt zierte das Logo der Olympischen Spiele 2008 in Peking. Wen stellte sich bei einzelnen Bewohnern der japanischen Hauptstadt vor und lud sie nach China ein – eine nette Show für die mitlaufenden Fernsehkameras.

Auch in seiner Rede vor dem japanischen Unterhaus schlug Wen zunächst versöhnliche Töne an. Er ist der erste offizielle Staatsgast aus China seit sieben Jahren und der erste chinesische Politiker seit 1985, der eingeladen wurde, vor dem Parlament in Tokio eine Rede zu halten. Die Ansprache, live im chinesischen und japanischen Fernsehen übertragen, war mit Spannung erwartet worden, sollte sie doch die langsam wieder erwachende Freundschaft zwischen China und Japan beschreiben.

Wen begann seine Rede mit freundlichen Worten, erinnerte die japanischen Parlamentsabgeordneten an gemeinsames Kulturgut und lobte florierenden Handel, Wirtschaftswachstum und Know-how-Transfer. Die deutlichen Hinweise an den Gastgeber sollten aber rasch folgen. Der chinesische Premierminister warnte Japan, sich weiterhin in die Taiwan-Frage einzumischen. Die Insel Taiwan stand bis 1945 unter japanischer Besatzung und versucht nun seit Jahrzehnten die Abspaltung von der Volksrepublik. „Wir streben eine friedvolle Lösung an“, sagte Wen vor den Abgeordneten, „aber wir akzeptieren niemals die Unabhängigkeit Taiwans.“

Japan, so Wen weiter, müsse die Sensibilität des Themas erkennen und sich in dieser Angelegenheit vorsichtig verhalten. Die chinesische Führung hat immer wieder kritisiert, dass sich Japan neben die USA gestellt hat und wie diese als Schutzmacht für Taiwan agiert. 2005 wurde dies sogar in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten.

Beim Thema Kriegsvergangenheit, über das Japan nicht nur mit China, sondern auch dem Nachbarn Korea seit Jahrzehnten streitet, wog Wen seine Worte sorgfältig ab. Er würdigte die wiederholten Entschuldigungen japanischer Politiker für Kriegsverbrechen, die, wie er sagte, „von einer Handvoll Militaristen“ im Zweiten Weltkrieg in Asien begangen worden seien. Fügte dann jedoch hinzu: „Wir hoffen, dass Japan zu diesen Aussagen auch in Zukunft steht.“ Der Chinese Wen erteilte damit seinem Amtskollegen Shinzo Abe eine indirekte Rüge, denn Abe hatte erst kürzlich öffentlich in Abrede gestellt, dass Japan chinesische, koreanische und philippinische Frauen zu Sexdienerinnen für seine Soldaten gemacht hatte.

Keine direkte Anspielung machte Wen auf den Yasukuni-Schrein. Doch hatte er bereits vor seiner Japan-Reise in einem Interview bekräftigt, dass ein Besuch bei dem Schrein, in dem auch Kriegsverbrecher ehrenvoll erwähnt werden, die Gefühle der Chinesen verletzen würde. Premier Abe ist – im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Junichiro Koizumi – dem Schrein bisher ferngeblieben. Der Yasukuni-Schrein wurde zum Symbol für die unrühmliche Kriegsvergangenheit Japans, allerdings ist er auch jener Ort mitten in Tokio, in dem der normale Bürger seiner im Krieg verstorbenen Angehörigen gedenkt.

Die Gastgeber empfanden die Rede Wens im Parlament als „positiv“. Schon am Mittwoch, dem ersten Tag des Staatsbesuchs, freute sich Japan darüber, dass man seitens der Regierung in Peking ein seit vier Jahren geltendes Importverbot für Reis aufgehoben hat. Und noch etwas begrüßt man in Tokio: China hat prinzipiell anerkannt, dass sich Japan vermehrt auf der Weltbühne einbringen und deshalb einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat möchte. Peking sei zu Diskussionen darüber bereit.