Schlacht um Staatskohle

Das Neusser Theater am Schlachthof (TAS) kämpft ums Überleben: Die CDU-regierte Stadt will ihm 66 Prozent weniger Geld überweisen. Die örtlichen Schützenvereine hingegen bleiben verschont

von LUTZ DEBUS

Ein Novum in der Stadtgeschichte von Neuss ist am kommenden Mittwoch zu bestaunen. Durch die Innenstadt wird ein Schützenzug der ganz besonderen Art marschieren. Die SchauspielerInnen des „Theaters am Schlachthof“ (TAS) werden, ausstaffiert mit blauen Müllsäcken als Uniformen und Papierschiffchen als Helme, gegen die geplante Kürzung von 66 Prozent der städtischen Zuschüsse an das freie Theater protestieren. Mitmachen darf jeder. Randgruppen wie Theaterbesucher, Hartz IV-Empfänger, Lesben, Schwule und sogar Frauen, die bei Schützenfesten sonst nur am Straßenrand jubeln dürfen, sind laut Demo-Aufruf ausdrücklich willkommen.

Für die selbst ernannte Welthauptstadt des Schützenfestes gleicht dies einer kleinen Kulturrevolution. Warum gerade die Schützen Zielscheibe des Spottes der freien Theaterleute sind, erklärt Martin Maier-Bode vom TAS: „Während uns unsere ökonomische Grundlage entzogen wird, bleiben die Zuschüsse für das Schützenfest unberührt.“ Ursprünglich hatte eine Ratsvorlage eine Kürzung nach dem Rasenmäherprinzip vorgesehen. Denn durch unvorhergesehene Steuerausfälle und Spekulationsgeschäfte war die prekäre Haushaltslage entstanden. Doch die CDU-Mehrheit im Stadtrat will nun die Mittel nur bei den Theatern, nicht aber bei Schützen und Karnevalisten zusammenstreichen.

Dies sei, so Maier-Bode, reiner Selbstschutz. Schützenwesen und die seit 1948 regierende CDU bildeten in der erzkonservativen Stadt fast eine organisatorische Einheit. Brisant dabei ist, dass sich das TAS diesem lokalpolitischen Thema in seinen Stücken immer wieder auf kabarettistische Weise annimmt. Bei der aktuellen Produktion „Romeo & Julia im Meererhof“ erfährt man laut Ankündigung alles über die Stadt, in der das Saufen subventioniert wird. „Ein Drama zwischen West Side Story und Shakespeare erzählt die Geschichte zwischen einem Mädchen aus gutem Hause und einem Jungen aus der heruntergekommenen Nordstadt“, beschreibt Martin Maier-Bode sein Stück. Statt Straßengangs stünden sich allerdings verfeindete Schützengilden gegenüber.

Dass das Mädchen Julia aus der mächtigen Familie Wehrhuhn stammt, habe vielleicht die real existierende Familie Wehrhahn erzürnt. Die Hafenpatriarchendynastie sei ein wichtiger Faktor im Machtgefüge von Neuss. Das TAS, das mit 25.000 Besuchern eines der großen freien Theater in NRW ist, viele Preise gewonnen hat und mit seinen Produktionen auch auf Tournee geht, ist manchen CDU-Granden ein Dorn im Auge. Die CDU-Fraktion indes weist den Vorwurf zurück, mit der beabsichtigten Kürzung Zensur betreiben zu wollen. „Unsinn“, sagt Ursula von Nollendorf, Stadtverordnete und Mitglied des Kulturausschusses. Das TAS habe man bislang großzügig unterstützt. Es nutze die Räume mietfrei, jüngst hätte es eine neue Probebühne bekommen.

Die CDU-Politikerin ist eigenen Angaben zufolge bei den berühmten Stunksitzungen selbst regelmäßig Besucherin des Theaters. „Die Demo wird sicher lustig“, erklärt von Nollendorf. Allerdings müsse man sparen. Nur sei noch nicht entschieden, wo. So bleibt dem Neusser Publikum noch die Hoffnung, dass es ein Happy End für Romeo und Julia gibt. Die verarmten Theaterflegel aus der Nordstadt können vielleicht doch noch das Herz der CDU gewinnen.

Demonstration der „Kulturschützen“ für den Erhalt des TAS, Mittwoch, 18. April, 16 Uhr, Neuss, Hauptbahnhof