„Bonn ist nicht Berlin“

„Ich habe vier Kinder innerhalb von 18 Monaten bekommen. Da war der Wiedereinstieg in den Beruf eine Herausforderung.“

INTERVIEW ANNIKA JOERES
UND MARTIN TEIGELER

taz: Frau Dieckmann, sind Sie die Hillary Clinton vom Rhein?

Bärbel Dieckmann: Ich bin Bärbel Dieckmann.

Es gibt doch ein paar Parallelen zwischen den Clintons und den Dieckmanns.

Ich wüsste keine.

Nerven oder irritieren Sie solche Fragen? Es liegt doch nah, Politikerinnen zu vergleichen, die jetzt wichtige Posten haben – Clinton, Merkel, Ségolène Royal.

Ich freue mich über jede Frau in einer Spitzenposition. Ich habe viele Jahre dafür gekämpft, dass Frauen nicht nur gleichberechtigt sind, sondern auch Positionen einnehmen, in denen sie die Macht haben, ihre Ziele durchzusetzen. Insofern irritiert mich das nicht, sondern es freut mich.

Könnten Sie sich auch vorstellen, von Bonn komplett in die Bundespolitik zu wechseln?

Oberbürgermeisterin von Bonn zu sein, ist der beste Job, den man sich vorstellen kann.

Wenn heute noch einmal über die Bundeshauptstadt abgestimmt würde – würden Sie für Bonn stimmen?

Diese Frage stellt sich nicht. Da ich allerdings nie Bundestagsabgeordnete war, habe ich auch nicht abgestimmt.

Aber die Frage eines kompletten Umzugs nach Berlin wird immer wieder aufgeworfen – auch von Ihren Genossen.

Man kann die Uhr danach stellen, dass diese Debatte alle paar Monate wieder aufkommt. Bonn geht es heute sehr gut, aber dafür ist das Bonn-Berlin-Gesetz eine wichtige Grundlage. Deshalb muss es auch eingehalten werden.

Wie finden Sie Berlin?

Das ist eine interessante, spannende und lebendige Stadt. Bonn und Berlin sind nicht zu vergleichen – genauso wie Bonn nicht mit Paris oder London zu vergleichen ist.

Haben Sie kein Interesse, etwa Bundesministerin an der Spree zu werden?

Nein, ich bin Oberbürgermeisterin von Bonn und würde das auch gerne noch bleiben.

Aber wie mächtig sind Sie als stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende, wenn Sie Kommunalpolitik machen. Unterschätzen Ihre Vorstandskollegen das Lokale nicht?

Nein, weil alle wissen, dass sich die Kommunalpolitik für die Menschen ganz unmittelbar auswirkt. Franz Müntefering hat einmal gesagt, dass in den Kommunen die Grundlage der Politik gemacht werde. Die Politik, die in Berlin oder Düsseldorf gemacht wird, kommt vor Ort bei den Menschen an und muss funktionieren. Denken sie an die Reform der Unternehmenssteuer. Da war es wichtig, dass Kommunalpolitiker im Bundesvorstand bei den Beratungen dabei waren, damit auch die Interessen der Städte, Gemeinden und Kreise gewahrt bleiben. Das gilt aber auch für Themen wie Kinder, Jugend und Familie und viele andere.

Sie stehen also hinter Peer Steinbrücks umstrittener Reform?

Wichtig ist, dass der Finanzminister erreicht hat, dass die Gewerbesteuer erhalten bleibt, weil sie die Schlüsselsteuer für die Kommunen ist. Das ist ein Erfolg. Es ist auch unstrittig, dass wir die Unternehmenssteuerreform brauchen. Wir diskutieren, ob diese Reform in der Anfangsphase zu große Einnahmeverluste für den Staat bringt. Wir brauchen ein Steuersystem, das mit anderen Ländern vergleichbar ist – und in dem Unternehmen ihre Steuern in Deutschland bezahlen.

Ist das sozialdemokratisch: Für Unternehmen die Steuersätze zu senken und gleichzeitig den Bürgern die Mehrwertsteuer zu erhöhen?

Es ist sozialdemokratisch, wenn wir dafür sorgen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt wird und dadurch Arbeitsplätze entstehen. Menschen wollen ein gutes Sozialsystem, gute Bildung, gute Verkehrsinfrastruktur. Dafür braucht man Steuereinnahmen. Und die müssen wir langfristig sichern.

Warum ist die SPD-Basis da so unsicher – laut Umfragen auch bei Themen wie der Unternehmenssteuerreform oder zuvor der Agenda 2010?

Die SPD-Basis ist gefestigt. Aber die Globalisierung stellt uns auch vor Herausforderungen und führt zu Unsicherheiten. Das gilt für unsere Anhänger genau wie für alle anderen Menschen in Deutschland.

Welche Herausforderungen?

Wir stehen im internationalen Wettbewerb. Das ist eine große Chance, weil wir in einer Spitzenposition sind und davon profitieren. Die Herausforderung ist, dass wir uns anstrengen und bewegen müssen, um diese Position zu halten.

Die SPD ist zur Agenda 2010 teils auf Distanz gegangen.

Die SPD distanziert sich nicht von der Agenda 2010. Im Gegenteil: Dass sich der wirtschaftliche Aufschwung jetzt etwa auch so positiv auf dem Arbeitsmarkt auswirkt, dass langsam auch die Älteren und die ganz Jungen wieder Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und dass wir die Finanzierung der Sozialsysteme wieder sichergestellt haben sind Erfolge der Regierung Schröder. Die Regierung Kohl hat diese wichtigen Weichenstellungen 16 Jahre lang nicht geschafft.

Sollte die SPD bei der Bundestagswahl 2009 mit einer Frau gegen CDU-Kanzlerin Angela Merkel antreten?

Wir werden zum richtigen Zeitpunkt den geeigneten Kandidaten aufstellen. Das kann eine Frau sein oder ein Mann – wir werden mit dem Besten oder der Besten antreten.

Könnte eine weibliche SPD-Kandidatin nicht einen strategischen Vorteil bringen gegen eine CDU-Kanzlerin?

Das weiß ich nicht. Wenn Frau gegen Frau antritt, muss das kein Vorteil für die SPD sein.

Die SPD berät derzeit über ein neues Grundsatzprogramm. Welche neuen Inhalte braucht die Sozialdemokratie?

Wir analysieren kritisch die Situation in einer globalisierten Welt. Und wir diskutieren, wie man Probleme lösen oder verhindern kann. Das geschieht auf Basis unserer Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Wir werden ein modernes Programm bekommen, das Antworten gibt, etwa in der Umweltpolitik mit einem klaren Bekenntnis zu erneuerbaren Energien. Eine moderne Bildungs- und Familienpolitik ist für unsere Zukunft existenziell.

Sie melden sich beim Thema Kindergartenplätze oft zu Wort. In NRW ist das Angebot bei den Betreuungsplätzen schlecht. Geht es Bonn besser?

Bei Kindergartenplätzen und der Betreuung von unter Dreijährigen haben wir als Kommune eine Schlüsselstellung. Wir sind entweder selbst Träger dieser Einrichtungen oder unterstützen freie Träger. Wir liegen in Bonn bei 18 Prozent bei den Kindern unter drei Jahren. Das reicht aber bei weitem nicht aus.

Dann sind Sie dem NRW-Ziel von 20 Prozent recht nahe.

Ja, aber die Nachfrage steigt mit dem Angebot. Heute steht das Thema im Mittelpunkt, da wollen viele Eltern die Betreuungsmöglichkeiten auch nutzen. Wir brauchen dringend den Rechtsanspruch auf Betreuung für alle Kinder ab dem ersten Geburtstag. Klar ist, dass das nicht allein die Kommunen bezahlen können. Aber man würde auch die Kommunen veranlassen, den Ausbau voran zu treiben, die bislang kaum Angebote machen.

Sie haben lange Zeit als Lehrerin gearbeitet. Wünschen Sie sich manchmal zurück an ein Bonner Gymnasium?

Ich habe sehr gerne als Lehrerin gearbeitet. Aber das ist eine Phase, die für mich abgeschlossen ist. Ich bin nicht Oberbürgermeisterin geworden, weil ich nicht gerne als Lehrerin gearbeitet hätte.

Wollen Sie eine moderne Familienpolitik auch wegen Ihrer eigenen Biographie? Sie haben eine längere Pause gemacht, als Sie Mutter wurden.

Die hätte ich in meiner Situation vielleicht auch gemacht, wenn es ein besseres Betreuungsangebot gegeben hätte. Ich habe vier Kinder innerhalb von 18 Monaten bekommen, zwei Zwillingspaare (lacht). Das ist schon gut, wenn man sich dann nervenstark Zeit nimmt. Trotzdem war der Wiedereinstieg nach fünf Jahren eine Herausforderung, die nur möglich war, weil wir noch jahrelang private Unterstützung hatten, denn Ganztagesschulen gab es damals noch nicht. Es muss auch bei uns selbstverständlich werden, dass Kinder in einem Ganztagesangebot betreut werden.

Warum kommt diese Debatte so spät in Deutschland?

Manchmal frage ich mich das auch. Vielleicht hängt das mit unserer Geschichte zusammen.

Bei der CDU/CSU ist Ursula von der Leyen die Symbolfigur für die moderne Familienpolitik. Lässt sich die SPD dieses Thema wegnehmen?

Renate Schmidt war eine sehr gute Familienministerin und ich hätte mir gewünscht, das wir dieses Ministerium behalten. Aber: Wir können trotzdem einen Paradigmen-Wechsel erreichen, weil Frau von der Leyen eine sozialdemokratische Familienpolitik gegen Widerstände in der Union durchsetzt.

Das kann sie als Christdemokratin also besser?

Wir stimmen inhaltlich in den meisten Punkten überein. Aber sie überzeugt auch die konservativen Männer in der Union, das ist ihr großes Verdienst. Ich hoffe, in zehn oder 15 Jahren wird man auf diese Große Koalition zurückblicken und sagen können, dass in dieser Zeit die Grundlage für ein modernes Bildungssystem geschaffen wurde.