Zwischen räudigem Sofa und Spielplatz

POP Jakob Häglsperger, Soundtüftler der allseits geschätzten HipHop-Combo Frittenbude, sucht einen Ausgleich zum agitatorischen Krawallsound – als „Kalipo“ veröffentlicht er nun sein Album „Yaruto“

„Die besten Sachen funktionieren auf der Tanzfläche und auch beim Autofahren“

JAKOB HÄGLSPERGER

VON THOMAS WINKLER

Elternprobleme. Für andere mögen Spielplätze ein Hort des Horrors sein. Für Jakob Häglsperger sind sie ein Ort der Freude. Ein großer Teil der Musik auf seinem ersten Album unter dem Namen Kalipo ist auf Spielplätzen in Prenzlauer Berg entstanden. Auf denen haben der Produzent, sein Laptop und sein mittlerweile vierjähriger Sohn viel Zeit verbracht. „Ich habe versucht, mich in die Perspektive eines Kindes zu versetzen und das musikalisch umzusetzen“, sagt Häglsperger. „Vielleicht klingen viele der Tracks deshalb so glücklich.“

Nicht immer nur Vollgas

Das darf man getrost als Überraschung bezeichnen. Denn hauptberuflich ist Häglsperger ein Drittel der politisch engagierten Krawall-Combo Frittenbude. Die klingen bekanntlich gar nicht glücklich. Sondern vor allem wütend. Haben damit aber ziemlichen Erfolg, spielen im Sommer auf den Festivals und füllen im Rest des Jahres die mittelgroßen Hallen. Dem Trio und seinem Elektropunk eilt ein nachgerade legendärer Ruf als vorzügliche Live-Entertainer voraus. „Da ist immer Vollgas“, sagt Häglsperger, und dass er dazu einen Ausgleich, einen Gegenentwurf braucht.

Dieser Gegenentwurf ist Kalipo. „Yaruto“ ist sein erstes Album unter diesem Namen. Die Tracks darauf sind zwar durchaus rhythmusgetrieben, aber vor allem doch sehr atmosphärisch. „Die besten Sachen sind doch die, die auf der Tanzfläche funktionieren, aber auch zuhause oder beim Autofahren“, sagt Häglsperger. Andersherum gesagt: „Yaruto“ ist weder Chill-Out-Musik noch wirklich tauglich zum Abhotten im Techno-Club, findet dafür aber eine Nische, in der man sich als Zuhörer nur allzu gerne einkuschelt. Immer mal wieder melancholisch, dann aber doch vor allem warm und freundlich, mit Einflüssen aus der Gamelan-Musik, Klängen vom thailändischen Hackbrett Khim oder der Oud, der marokkanischen Gitarre, und ätherischen Vocals, die Häglsperger in aufwendiger Detailarbeit zusammen geschnitten hat aus Kleinst-Samples, die er bei YouTube gesammelt hat. „In der elektronischen Musik geht es sonst eher um einen Sound oder ein Tempo“, erzählt Häglsperger, „mir ging es nun darum, Stimmungen zu schaffen.“ Stimmungen, wie man sie eben an einem frischen Frühsommertag einfängt, auf der Spielplatzmauer sitzend.

Der größere Teil des Berufslebens des 29-Jährigen spielt sich allerdings in einem dunklen Souterrainraum in Lichtenberg ab. Und nicht am Laptop, sondern mit Instrumenten. Im „Berliner Rockhaus“, einem umgebauten Plattenbau in Lichtenberg, nutzen Frittenbude einen von mehreren Hundert Probenräumen. Der Raum ist vollgestellt mit Keyboards, Synthesizern und Rhythmusmaschinen. Eine Sammlung Effektgeräte blinkt wie eine kleine Lichtorgel. In einer Ecke türmen sich Kisten, in denen noch mehr Equipment verpackt ist. Das Schlagzeug steht so eng vor dem klischeehaft räudigen Sofa, dass man sich kaum setzen kann. Hier entsteht gerade das neue Album der Band, das im kommenden Jahr erscheinen soll.

Im Jahr 2010 sind Häglsperger und seine beiden Mitstreiter, Rapper und Sänger Johannes Rögner und Gitarrist Martin Steer, zusammen aus dem niederbayerischen Geisenhausen nach Berlin umgesiedelt. Seitdem hat sich der Erfolg des „Punk-Dings, das in Jugendzentren auf dem Land entstanden ist“, wie Häglsperger Frittenbude beschreibt, weiter verfestigt: Das letzte Album, „Delfinarium“, stieg vor zwei Jahren immerhin bis auf Platz 14 der deutschen Album-Charts. Nicht schlecht für eine Band, die vor allem auf der Bühne überzeugt und deren Tracks auch vor Parolenhaftigkeit nicht zurückschrecken. „Auf die Bühne und dann knallt‘s“, sagt Häglsperger über Frittenbude und gibt zu, dass er die Songs seiner Band nur selten in den eigenen vier Wänden hören mag.

Kalipo ist deshalb ein Herzensprojekt. „Musik machen, die mir gefällt“, sagt er. Häglsperger – gelernter Maschinenbauer, Tontechnikerlehre abgebrochen – hat alles auf die Karte Musik gesetzt hat. Dass er im Prenzlauer Berg wohnt, ist eher Zufall, er hat dort eben vor vier Jahren eine Wohnung gefunden. Wohl führt er sich dort trotzdem, vor allem das Leben mit Kind ist angenehm. „Mittlerweile bin ich als Musiker so viel unterwegs, dass ich mal froh bin, wenn ich zuhause sein kann“, erzählt Häglsperger. „Ich gehe in Berlin weniger aus zum Feiern, als ich das in Bayern getan habe.“

Vielleicht ist so unabsichtlich die perfekte Musik für die geplagten Ciapappas und Macchiato-Mamis entstanden. Musik, die klingt wie eine sehnsüchtige Erinnerung an die wilden Nächte, bevor man sich zur Anzahlung für die Baugruppe entschloss. Musik, zu der man notfalls tanzen könnte, die man aber auch gut und gerne hören kann zum Riesling. Und natürlich dann, wenn man durch die halb geschlossenen Augen hoch in die Sommersonne blickt und dabei versucht, das Kinderkreischen, den ganzen Spielplatzsoundtrack halt, für ein paar Minuten nur zu ignorieren.

■ Kalipo: „Yaruto“ (Antime/ Word and Sound) | Record Release Party: Kalipo und Antime-Labelnight mit Simon12345, Joney, Unifono, Midimum und Abigail am 19. 9., 23 Uhr, Urban Spree, Friedrichshain