Bremens Ankunft im Fluss

Architektonische Ambition statt Alcatraz: Die Weserspitze wird bebaut. Zech nimmt dafür 20 Millionen in die Hand

Kunst ist bekanntlich ein unersetzlicher gesellschaftlicher Seismograph. Wie präzise die Früherkennung von künftigen Entwicklungen funktioniert, beweist „Three Triangle“ – Sol LeWitts weißschimmernde Steinskulptur auf der Weserspitze. Der vor wenigen Tagen gestorbene Minimalist hatte sie als weithin sichtbare Erkennungsmarke konzeptioniert, als hellstrahlendes Kronenfragment, das für alle per Schiff nach Bremen Kommenden den Eingang zur Innenstadt markierte. Genau das ist die Skulptur – mangels Pflege – seit einiger Zeit nicht mehr. Gelbliche Flecken kündigen die gewaltigen Veränderungen an: Die Skulptur weicht einer massiven Bebauung der Weserspitze.

Zechbau investiert 20 Millionen Euro, um ein 75 Meter langes und 25 Meter breites vierstöckiges Bürohaus in den Fluss zu setzen. Das Schweizer Architektenbüro Meili&Peter – auch mit der Neubebauung des Süddeutschen Verlag-Geländes in München betraut – hat ein lang gestrecktes Oval mit doppelgeschossigem Aufsatz entworfen. An der Fassadengestaltung wird noch laboriert, absehbar ist ein deutlicher Kontrast zur giebelständigen, Backstein-dominierten Teerhofarchitektur.

Hauptmieter ist eine große Reederei. Zudem zieht Gastronomie ein, möglicherweise auch ein Showroom des Neuen Museums Weserburg. Geplant sind zwei Garagen-Geschosse, ein umlaufender Fußweg soll die Weserspitze öffentlich zugänglich halten. Der Schiffsanleger wird nach Fertigstellung – Mitte 2009 soll es soweit sein – wieder an die Insel angedockt.

Da das alles nicht auf die vorhandene Brückenkopf-Bastion passt, kommen auf Zechbau umfangreiche Gründungsarbeiten zu. Dieser technische Aufwand habe alle anderen Investoren abgeschreckt, sagt Bausenator Ronald-Mike Neumeyer (CDU). Wie viel hat die Stadt für den zwar feuchten, aber immerhin zentral gelegenen und fast 1.900 Quadratmeter messenden Baugrund bekommen? „Fragen Sie Bremen Ports“, sagt der Senator – „denen gehört das Gelände.“ Deren Sprecher verweist auf die Bremer Investitionsgesellschaft als mit der Verkaufsabwicklung beauftragte Instanz. Dort wiederum wird auf den „Vertrauensschutz“ verwiesen. Die Öffentlichkeit muss sich also mit der inoffiziellen Andeutung begnügen, dass so ein Brückenkopf für „ein paar Euro siebzig“ zu haben ist.

Die Baudeputation hat das Vorhaben abgesegnet, da das Gebäude jedoch in einer Bundeswasserstraße liegen wird, muss die Planfeststellung weitere Hürden überwinden. Für Senatsbaudirektor Uwe Bodemann ist die Stadt bereits „im Fluss angekommen“, überdies „in ihrem Zug in Richtung Westen“ vorangebracht. Gemeint ist die durch die Neubauten an Brill und Weserbahnhof bereits in Angriff genommene Verbindung zwischen Innen- und Überseestadt.

Die Erschließung der Weserspitze gehört zum Programm „10 in 10 – Bremer Flusspunkte“, mit dem das Bauressort unter anderem auch Flussgrundstücke am Stephanitor und in Nachbarschaft der „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ bebauen lassen will. „Das sind Maßnahmen, die Bremens Gesicht weitgehend verändern werden“, sagt der Bausenator.

Derzeit ist die „Bastion“ noch mit städtischer Besatzung belegt: Drei Mitarbeiter des Amtes für Straßen und Verkehr schieben (in wenig anheimelnden Räumen) Brückendienst, in dem sie die Wasserübergänge baulich kontrollieren. In absehbarer Zeit jedoch dürfen sie Bremens Alcatraz verlassen: Spätestens Anfang 2008 beginnen die Bauarbeiten. Bis dahin soll auch ein neuer Standort für „Three Triangle“ gefunden sein. Henning Bleyl